Grundsatzfrage zur Mathematik

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Joe83 Auf diesen Beitrag antworten »
Grundsatzfrage zur Mathematik
Liebe Forumsmitglieder!

Ich hätte da mal eine grundsätzliche Frage über Mathematik, die ein bisschen in die philosophische Richtung geht und mir trotz fast abgeschlossenem Mathematikstudium noch immer keine Ruhe lässt.

Mathematik ist ja ein von Menschenhand geschaffenes formales Konstrukt, in welchem der Umgang mit den innermathematischen Objekten strikt geregelt und definiert ist.
Die Eigenschaft, dass sich mathematische Algorithmen und Lösungsverfahren auf die Natur anwenden lassen, ist also von Haus aus noch keine Selbstverständlichkeit, welche aber im Schulunterricht sowie zum Teil auch auf universitärem Niveau als gegeben präsentiert wird.

Natürlich ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass die meisten Definitionen und auch Axiome in Anlehnung an die Natur bzw. in jahrelanger Arbeit aus konkreten Problemen heraus entwickelt wurden, und dass uns zu Gute kommt, dass sich die Natur durch Zahlen, Proportionalitäten, etc beschreiben lässt.

Je tiefer ich nun in die theoretischen Grundlagen eindringe, umso mehr lege ich die angesprochene Selbstverständlichkeit ab und umso verblüffender erscheint es mir, dass dieses Konstrukt funktioniert, auch wenn dies seltsam klingt. Normalerweise sollte man ja Sicherheit im Umgang mit einer Sache erlangen, wenn man sich mehr damit beschäftigt. verwirrt

Nun stellt sich mir die Frage, (die ich in unbefriedigender Weise leider nur mit "anscheinend ja" beantworten kann) ob es tatsächlich ausreicht, einen Ablauf aus der Natur mit den durch die Mathematik geschaffenen Mitteln (beispielsweise als reelle Funktion, auch wenn der Ablauf die negativen Zahlen gar nicht "kennt") zu beschreiben und zu modellieren, um alle weiteren, mit der Natur übereinstimmenden und nicht aus der Ausgangssituation eindeutig ersichtlichen Folgerungen ableiten zu können? Oder kann es vielmehr auch passieren, dass man dabei "innermathematisch" an der Natur vorbeischießt? (Die letzte Frage kann ich mit "anscheinend nein" beantworten, ist aber noch immer nicht das gelbe vom Ei)

Hoffe ich konnte verdeutlichen, welche Fragen mich zurzeit quälen und würde mich über qualifizierte Antworten von Gleichgesinnten bzw. denen, die sich diese Fragen auch schon einmal gestellt haben, freuen! Freude
system-agent Auf diesen Beitrag antworten »

Leider kann ich dir darauf auch keine richtige Antwort geben, aber genau die Frage habe ich mir auch schon gestellt.
Ich persönlich erkläre mir dann das "passen" der Mathematik auf "natürliche Probleme" dadurch, dass die ganze Theorie aus eigentlich praktischen Problemen gewachsen ist. Manchmal wohl auch in dem Bestreben, einen Sachverhalt genauer zu verstehen.
Ich denke da zum Beispiel an das Messen. Jeder hat eine intuitive Vorstellung von dem wie man etwas abmessen sollte und was da sinnvoll ist in dem Zusammenhang. Das ist so der natürliche, intuitive Aspekt.
Als ich dann die Axiome einer Metrik gesehen habe war es vertraut, es schien alles so zu sein, als dass es sinnvolle Anforderungen an ein Konzept des Messens ist.
Es entspricht das was man sich intuitiv darunter vorstellt.
Arbeitet man da weiter und verallgemeinert mehr und mehr, bleibt doch die Grundlage immer bestehen.

Natürlich ist das alles keine Erklärung dafür dass man die Mathematik so erfolgreich anwenden kann um konkrete Probleme zu analysieren und zu lösen, aber für mich persönlich ist es eine Erklärung mit der ich leben kann.
Bakatan Auf diesen Beitrag antworten »

Eine lange Zeit war unbekannt, wie Bienen denn nun fliegen können mit ihren kleinen Flügeln. Man hat ausgerechnet, dass es unmöglich sein sollte. Trotzdem taten sie es. Dann bemerkte man ein paar Dinge, sah die Situation nochmal genau an und rechnete schließlich auf eine andere Art und Weise aus, dass sie wohl doch fliegen können.
Ein schöner Kreis, den Physiker gerne gleich am Anfang beigebracht bekommen habe ich mal unten angehängt.
Prinzipiell schaut man sich etwas an und macht dann eine Theorie dazu. Mit dieser Theorie versucht man dann, Vorhersagen aufzustellen, die man dann im Experiment wiederum nachprüft. Klappt alles, so wird es wohl stimmen.
Über die Genauigkeit kann man ja bereits am Beispiel der Relativitätstheorie ausreichend zeigen:
Die alte Theorie war zwar nicht so ganz korrekt, aber nah genug dran. Selbst jetzt benutzt man in der Schule oder unter 10% der Lichtgeschwindigkeit aus Gründen der Einfachheit die alte Methode. Stört niemanden!
Gase "berechnet" man relativ gern mit statistischen Argumenten. Es kommt einfach nicht vor, dass sich alle Gasteilchen zum gleichen Moment in nur einer Raumhälfte befinden. Zumindest bei normalen Bedingungen, in denen mehr als 10000 Teilchen vorhanden sind. Für jeden normalen Gebrauch reicht das.

Lange Rede kurzer Sinn: Jemand stellt eine Theorie auf und wenn man damit etwas stimmig vorhersagen kann nimmt man sie. Deshalb muss sie noch lange nicht 100% genau der Natur entsprechen. Nach den ersten simplen Formeln über Gase gibt es auch Bereiche, in denen sich das Gas bei steigendem Druck ausdehnt! Später kam dann einfach wer und hat gesagt: "Das geht so nicht" und hat in den Bereich eine Gerade reingelegt. ( etwas übertrieben, aber im Prinzip... )
Es gibt jedoch auch in der Physik gewisse "Axiome" also irgendwie offensichtliche und äußerst wahrscheinlich stimmende Dinge. Mit denen rechnen die Theoretiker dann weiter und kommen auf Drehimpulserhaltung oder Planetenbahnen oder ähnliches. Da hier alles Ausgerechnete zu stimmen scheint ist es doch stark anzunehmen, dass die Grundvoraussetzungen ebenfalls ziemlich nahe an der Wirklichkeit sind.
Zu guter Letzt kann ich nur noch zu diesem Comic verlinken.

edit: Das mit dem Bilder einfügen muss ich irgendwie noch lernen...

[attach]11190[/attach]

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bishop Auf diesen Beitrag antworten »

ich kann dir ein sehr simples Beispiel geben, wo man mathematisch an der Realität vorbeischiesst:

Aufgabe: nach welcher Zeit t erreicht ein aus 10m fallengelassener Stein die Erdoberfläche (gesetzt g=const=10m/s²

Mit der Gleichung hat man die lösung fix indem man nach t umstellt, jedoch nimmt man stets die positive Lösung, da die negative "unphysikalisch ist"

Selbe Situation hat man mit den Tachyonen; Sie widersprechen nicht der mathematischen Theorie der SRT, trotzdem erwarten nur wenige Esoteriker ihre tatsächliche Existenz
Urza Auf diesen Beitrag antworten »

Ich kann da Bakatan nur zustimmen: Ich sehe die Mathematik auch als Naturwissenschaft, die Axiome der Logik und Mengenlehre analog zu physikalischen Axiomen - Man benutzt sie, leitet Dinge daraus ab und es scheint im Einklang mit der Wirklichkeit zu sein. Herausgefunden hat man sie genauso durch Beobachtung, nur dass sie elementarer sind als die meisten physikalischen Gesetze [edit: Es ist möglich, dass manche der ganz elementaren logischen Schlussregeln dem Menschen bereits genetisch von Geburt an 'bekannt' sind, aber das trifft bestimmt nicht auf die komplizierteren Sachverhalte zu, die in der Mathematik zu den Grundlagen zählen]. "Intuition" entsteht ja auch nur durch Gewohnheit bzw. wiederholte Beobachtung. Das heißt, ich sehe die derzeit benutzten Grundlagen der Mathematik als beste/erfolgreichste bisher bekannte Theorie von den Grundgesetzen des Universums - in einem gewissen Sinn. Das heißt nicht, dass sie endgültig sind oder aus irgendeinem philosophischen Grund 'absolut', 'unzweifelhaft' oder 'gottgegeben' etc.; zu einer solchen Annahme besteht meiner Meinung nach kein Grund und auch keine Notwendigkeit. Immerhin gibt in der Geschichte auch viele Fälle, bei denen die Anwedung "bekannter" mathematischer Tatsachen zu falschen Ergebnissen geführt hat, was dann wiederum zu einer Anpassung der allgemeinen Ansichten über die Grundlagen geführt hat. Selbst heute gibt es ja auch in den Grundlagenwissenschaften der Mathematik teilweise unterschiedliche Ansichten, zum Beispiel über die Gültigkeit des Auswahlaxioms.

Ich mag eigentlich den Gedanken, dass in der Wissenschaft letztlich jeder ein Amateur ist und man nie ganz sicher sein kann Augenzwinkern
42 Auf diesen Beitrag antworten »

Hallo,
ein anderes Beispiel: Eine Kugel.

Man nehme eine Kugel. In der Mathematik würde man sagen, dies wäre

Nun kann man aber K in ein paar Teile zerlegen, diese im R^3 rotieren und man erhält zwei! neue, massive Kugeln vom Radius r.

Das heißt, habe ich eine Goldkugel von einem 1cm Radius, dann kann ich in der Mathematik, daraus z.B. 1 Millionen massive Goldkugeln vom Radius 1cm machen (bekannt unter Banach-Tarski-Paradoxon).


Ansonsten kann man sehr oft an der Natur mathematisch vorbei schießen. Es gibt diverse Beispiele dafür. Dort passt einfach das mathematische Modell mit der Realität nicht zusammen. Zum Beispiel bei der Kugel. K ist überabzählbar, unser Universum hat aber nur endlich viele Atome, damit kann die Kugel nur endlich viele Atome haben. Also kann man mit der mathematischen Kugeln mehr anstellen (z.B. Volumen verdoppeln), als mit einer echten Kugeln.

Aber meistens passen die Modelle zusammen. Und was wir lernen, ist das, worüber sich viele Generationen vor uns den Kopf zerbrochen haben und mit vielen sehr falschen Modellen/Theorien hervorgekommen sind.
 
 
Zellerli Auf diesen Beitrag antworten »

@42:
Das ist wie beim ontologischen Argument.
Nur weil man eine Bündel Geldscheine widerspruchsfrei denken kann, muss sie nicht da sein.


Aber jetzt mal zu deiner Problematik, Joe83.
Zitat:
Normalerweise sollte man ja Sicherheit im Umgang mit einer Sache erlangen, wenn man sich mehr damit beschäftigt.


So ist es doch auch. Das was du glaubst und dann immer häufiger prüfst, wird ja ein immer sichererer Sachverhalt.
Was du dadurch allerdings an neuem kennen lernst, ist wahrscheinlich "mehr", als was du vorher gekannt hast und stellt also eine größere Menge an "Unsicherheit" dar.
Wenn du das dann geprüft hast, kommt wieder neues. Usw.
Aber es bleibt dabei: Die anfängliche Sache, die du prüfen wolltest, ist sicherer korrekt, als vor der Prüfung.

Die Naturwissenschaft geht empirisch vor, wie Bakatan schon ausgeführt hat. Jedoch hat man immer eine Portion Glaube. Nämlich die nicht vollkommene objektive Sicherheit. Sozusagen ein Credo der Naturwissenschaftler, dass allerdings kein starres Konstrukt ist (und damit auch keine universale Verlässlichkeit darstellt, wie es der Anspruch für religiöse Menschen ist...)

Das stelle ich gerne den Religionen gegenüber, die auch ein Credo führen, aber ein starres, das durch die empirische Methode schon an vielen Stellen widerlegt wurde und vernünftig betrachtet daher immr weiter schrumpft.
mYthos Auf diesen Beitrag antworten »

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mY+
Joe83 Auf diesen Beitrag antworten »

Vielen Dank für die sehr hilf- und aufschlussreichen Kommentare. Unter den genannten Blickwinkeln betrachtet, sieht die ganze Sache schon etwas "stimmiger" aus.

Im Übrigen habe ich heute noch ein interessantes Video auf Youtube gefunden, welches sich mit Mathematik und Wirklichkeit beschäftigt.

Für die, dies noch nicht kennen:

http://www.youtube.com/watch?v=InQ63s7kKsI
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