Beweis-Stil und -Eleganz

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Lampe16 Auf diesen Beitrag antworten »
Beweis-Stil und -Eleganz
Hallo Beweis-Autoren,
ein Beweis kann manchmal dadurch abgekürzt werden, dass ein Wert quasi aus der Luft gegriffen wird - man bekommt keinen Hinweis, woher er kommt oder es ist keine Gleichung dafür angegeben. Der Wert erweist sich dann aber im Weiteren als richtig und die Mühe, ihn erst einmal herzuleiten, ist gespart.

Ist das guter, sogar eleganter Beweisstil oder eher aus der Abteilung Zaubern und Tricksen, wie es dem Uneingeweihten erscheint?

Eure Meinung interessiert mich.
Dunkit Auf diesen Beitrag antworten »

Ich finde es völlig in Ordnung. Ein solcher Wert ist meistens ja vorher vom Autor auf einem "Schmierzettel" hergeleitet worden. Dass er in der fertigen Arbeit dann "vom Himmel fällt" kommt meist sehr der Übersicht zu Gute (sonst würde man immer denken: "Wofür diese seitenlange Rechnung?!"). Von daher ist es durchaus eine Art Entgegenkommen. Hat aber meiner Ansicht nach nichts mit gutem oder schlechtem Stil zu tun. Mag aber sein, dass das andere anders sehen. Natürlich sollte man es nicht übertreiben und es sollte klar sein, dass dieser Wert irgendwie "seperat" ermittelt wurde, damit sich der Leser nicht fragen muss, ob er im bisherigen Beweis etwas verpasst hat...
Abakus Auf diesen Beitrag antworten »

Nicht jeder Mathematiker möchte sich voll in die Karten schauen lassen, mit welchen Methoden er arbeitet usw. Das ist sicher auch ein Grund verwirrt , wieso du die Vorüberlegungen oft nicht findest.

Grüße Abakus smile
Lampe16 Auf diesen Beitrag antworten »

Vielen Dank für Eure Beiträge!
Ich meine, aus Empathie mit dem Beweisverbraucher würde ich in jedem Fall mindestens eine Fußnote dafür spendieren, wie die scheinbare Erleuchtung durch eine bodenständige Analyse ersetzt werden könnte. Der Beweis bleibt dann kompakt und Autor wie Leser sind zufrieden.
tmo Auf diesen Beitrag antworten »

Mathematik ist eben mehr als nur bodenständige Analyse. Manchmal muss man etwas abheben Augenzwinkern

Also ich finde solche Beweis extrem interessant. Jeder hat doch die Chance sich selbst zu überlegen, wie man drauf kommen könnte. Wer die nicht nutzt, ist selbst dran Schuld. Und manchmal muss man halt einfach einsehen "Oh man da wäre ich nie draufgekommen"...

Aber könntest du mal ein Beispiel geben, was du genau meinst? Immerhin gibt es solche Beweise auf allen Niveau's. Ich glaube bei manchen Sachen sind es halt einfach Eingebungen, die man haben muss Big Laugh Wenn man Fermats letzten Satz durch bodenständige Analyse beweisen könnte, hätte es nicht 300 Jahre gebraucht. Big Laugh
Lampe16 Auf diesen Beitrag antworten »

Ein ganz einfaches Beispiel: Beweise, dass sich die Dreieck-Seitenhalbierenden in einem Punkt schneiden.
Wenn ich hier voraussetze, dass sie sich bei 1/3 ihrer Länge schneiden, bin ich sofort fertig.
 
 
tmo Auf diesen Beitrag antworten »

Wenn du wirklich das meinst, dann haben wir aneinander vorbeigeredet.

Was hier gemacht wird, ist einfach, dass einfach irgendwas zusätzlich vorrausgesetzt wird. Dann gibt es 2 Möglichkeiten: Entweder das wurde schon bewiesen und der Beweis ist entsprechend richtig. Oder das wurde noch nicht bewiesen, dann ist der Beweis schlichtweg falsch.

Ich dachte eher an sowas wie:

Beweis, dass es unendlich viele Primzahlen gibt.

Wir betrachten zu die Mengen und nennen offen, wenn leer ist oder zu jedem ein existiert mit . Nun ist das eine Topologie mit der Eigenschaft, dass jede nicht-leere offene Mengen unendlich ist und abgeschlossen ist. Wäre die Menge aller Primzahlen endlich, so ist als endliche Vereinigung abgeschlossener Mengen abgeschlossen, also ist eine endliche offene Menge. Widerspruch!

Da wird einfach eine Topologie eingeführt, ohne dass der Leser auch nur im Ansatz versteht, wie das zur Endlichkeit der Primzahlen führen soll. Und dann ist ganz plötzlich der Beweis eine Zeile später fertig. Sowas kann man doch wohl Eingebung des Autors nennen Augenzwinkern

Der Beweis ist übrigens aus dem Buch der Beweise.

Auf etwas niedrigerem Niveau fallen darunter evtl. auch diese ganzen Beweis aus der Analysis, wo einfach mal oder irgendwie gewählt wird und es vom Himmel zu fallen scheint. Dann passt am Ende alles. Bei solchen Beweisen kann man sich allerdings immer schnell denken, wie man drauf gekommen ist, bzw. nach ein bisschen Übung fällt es einem leicht solche Beweise auch so zu führen.
Ehos Auf diesen Beitrag antworten »

@Abakus, @tmo
Es ist schade, dass sich die Mathematiker nicht in die Karten schauen lassen. Dadurch geht dem Leser der Aha-Effekt verloren.

Einstein schrieb mal:
"Die Mathematik bietet die erstaunliche Möglichkeit, eine Sache formal zu beherrschen, ohne den Sinn verstanden zu haben."

Habe selbst in einem Gespräch mit einem Mathe-Dozenten erlebt, dass er den wahren Sinn der Raumkrümmung gar nicht verstanden hatte, obwohl seine Vorlesungen über Riemannsche Geometrie formal richtig waren.

Ich bevorzuge eine möglichst einfache Darstellung, wo alle Schritte begründet werden. Der Nachteil dabei ist: Die Darstellung ist oft umfangreich und schlecht lesbar.

Wenn man in ein klassisches Konzert geht, möchte man Musik hören. Es wäre doch schade, wenn der Dirigent die Noten im dualen Code vorliest (10011011...) und anschließend zum Publikum sagt: Geht jetzt nach Hause und spielt die Musik selbst. Das wäre zwar korrekt, aber nicht hilfreich.
Lampe16 Auf diesen Beitrag antworten »

Ja, wenn Du hauptsächlich an oder auf Erdös-Niveau gedacht hast, haben wir aneinander vorbeigeschrieben. Ich war bei den Epsilons und Deltas, wie Du es so schön ausgedrückt hast.
Ich bevorzuge die Beweise, deren Autoren ich "in die Karten schauen" kann. Für Deine Korrespondenz danke ich Dir.


edit
Ehos

"Ich bevorzuge eine möglichst einfache Darstellung, wo alle Schritte begründet werden. Der Nachteil dabei ist: Die Darstellung ist oft umfangreich und schlecht lesbar."

stimme ich voll zu.
tmo Auf diesen Beitrag antworten »

Das mit dem Erdös-Niveau war nur ein Beispiel. Wie du selbst festgestellt hast, fallen unter "vom Himmel fallen" auch diese Epsilons und Deltas, wobei ich nur nochmal wiederholen kann: Bei diesen Beweisen ist es oft nur eine Sache der Übung.

Aber noch mal etwas:

Was genau meint ihr denn mit "in die Karten schauen"? Soll man wirklich jedes mal schreiben, wie man auf etwas gekommen ist? Das geht doch gar nicht. Was meint ihr was einem manchmal für Gedanken kommen, wenn man längere Zeit (> 1 Tag) an einem Beweis überlegt. Da ist es doch unmöglich diese Gedanken niederzuschreiben. Und manchmal ist es ja wirklich dieser Geistesblitz, der einfach plötzlich kommt und man weiß selbst nicht woher. Das geschieht wohl auch ein bisschen im Unterbewusstsein, wobei ich jetzt aber nicht philosophisch werden will.

Und zu "Ich bevorzuge eine möglichst einfache Darstellung, wo alle Schritte begründet werden".

Es gibt einen großen Unterschied zwischen "alle Schritte begründet" und "bei jedem Schritt ist genau erklärt, wie man darauf kommt".

Ersteres ist Bedingung dafür, dass ein Beweis lückenlos ist. Das sollte also bei jedem Beweis der Fall sein und ist eigentlich auch in den meisten strengen Beweisen in Fachbüchern so.

Zweiteres ist wie oben erwähnt halt nicht immer möglich und wird halt oft auch nicht für nötig gehalten. Wobei hier nun der Punkt ist, wo sich die Geister offensichtlich scheiden.

PS: Das ist übrigens in der Tat ein interessantes Thema, man erlebt es ja selbst immer wieder, dass Leute in der Vorlesung fragen "Und wie kommt man denn darauf, das so und so zu wählen?". Die Profs weichen der Frage meist immer geschickt aus oder sagen manchmal auch knallhart: "Weil es passt" oder "Warum nicht?"
Ehos Auf diesen Beitrag antworten »

Ein Prof muss meiner Meinung nach alle Schritte und Voraussetzungen seiner Beweise bis ins Kleinste motivieren und erklären können. Es wäre doch schlimm, wenn er nur vorliest, was sich andere Mathematiker vor 100 Jahren ausgedacht haben. Anderenfalls könnte er sein Manuskript einer 80-jährigen Oma geben, die uns dann die Vorlesung wie ein Märchen vorliest. Das spart Steuergelder.
tmo Auf diesen Beitrag antworten »

Wo wir schon wieder beim Unterschied zwischen "Erklären können" und "Gedankengänge preisgeben". Niemand is zu letzterem verpflichtet, auch nicht eine Lehrperson.

Erklären können bedeutet für mich in diesem konkreten Fall: Begründen können, warum man denn diesen Wert jetzt so und so wählen darf. Das ist immer das Ziel, wenn man einen Beweis vor sich hat. Jeden Schritt verstehen, das heißt bei jedem Schritt bis ins Kleinste begründen können, warum man das gilt und warum man das so machen darf.

Ob der Hörer dann solch einen ähnlichen Schritt in Zukunft selbst durchzuführen zu vermag, liegt dann eben daran, ob der Hörer ein guter Mathematiker ist oder eben nicht.

Genauso wie ein Fußballtrainer keinem Spieler selbst vorführen muss, wie man einen Elfmeter schießt. (Evtl. würde er es gar nicht selbst können). Es reicht wenn er ihm Tips gibt, wie man den Torwart ausguckt etc...Ob der Spieler es dann umsetzen kann, liegt daran, ob er ein guter Fußballer ist oder nicht.

Vielleicht ein noch besserer Vergleich: Schachbücher. Da sind irgendwelche Spielsituationen gezeigt (aus der man keinen bestimmen Vorteil für den Spieler am Zug erkennen kann), in denen dann irgendein Großmeister plötzlich einen genialen Zug durchgeführt hat, der letztendlich zum Sieg geführt hat.
Niemand wird je wissen, wie er darauf gekommen ist, aber jeder kann begründen, warum dieser Zug zum Sieg geführt hat. Noch nicht mal sein Gegenüber, auch ein Großmeister, ist darauf gekommen, sonst hätte er es ja nicht so weit kommen lassen.
Ob dann der Leser des Schachbuches, wenn er sich während eines Spiels mal in einer ähnlichen Situation befindet, einen ähnlich guten Zug entdecken und durchführend wird, hängt davon ab, ob er ein guter Schachspieler ist oder nicht. Eben eine Frage der Abstraktions- und Transferfähigkeit, aber auch der Kreativität.

So viel dazu. Natürlich ist das eine Meinungssache und ich kann auch euren Standpunkt verstehen. Wollte nur mal meinen Standpunkt etwas erläutern.

Wink
Ehos Auf diesen Beitrag antworten »

@tmo
Hier prallen wohl 2 Weltanschauungen aufeinander. Der Vergleich mit dem Schachspiel sticht nicht, weil dieses "praktisch unendlich kompliziert" ist. Ein mathematischer Beweis ist dagegen "endlich".

Zwar ist es notwendig, dass die Mathematik ihre Definitionen und Beweise irgendwann einmal rein formal präsentiert. In der Lehre ist das aber wenig sinnvoll, weil das Gehirn nicht wie eine Computer arbeitet.

Zum Bespiel könnte man den Begriff "bestimmtes Integral" rein formal als Grezwert definieren - ohne Bezug auf Anschauung. Aus didaktischen Gründen wäre es aber besser, das bestimmte Intergal als Fläche zu einzuführen. Das war auch der historische Weg! Der interessierte Student wird dann von selbst abstrahieren.

Oft ist "echte" Exaktheit im Lehrbetrieb aus Zeitgründen nicht möglich. Wenn man z.B. den Gaußschen Satz bei minimalen Voraussetzungen beweisen wollte, wäre das ein sehr komplizierte Sache. Deshalb beschränkt man sich auf "genügend glatte" Funktionen usw.

Oft sehen die Mathematiker das selbst ein. In den Büchern findet man dann die Bemerkung: "Den Beweis übergehen wir." oder "ohne Beweis".
gonnabphd Auf diesen Beitrag antworten »

Interessante Diskussion!

Meiner Meinung nach sollte ein Zwischenweg gegangen werden.

Einerseits sollte man natürlich Beweise motivieren so gut man kann, und die Ideen dem Leser/Hörer offenlegen (denn das ist ja das wichtige an den Beweisen - nicht die technischen Details!).

Da stimme ich Ehos völlig zu: Man sollte es dem Leser möglichst leicht machen nachzuvollziehen, wie man auf einen solchen Beweis möglicherweise kommen könnte. Wie ich gehört habe, scheint ein gutes Beispiel dafür z.B. Euler gewesen zu sein. Dieser hat häufig sogar etwas in der Art geschrieben wie: "Zuallererst habe ich X versucht und bin an folgendem Punkte gescheitert, dann führte Y zu nichts und schlussendlich funktionierte folgender Ansatz Z".

So etwas finde ich grossartig, da das Ziel des Autors doch sein sollte sein Wissen zu vermitteln und keinesfalls jedem zu zeigen, was für ein grossartiger Mathematiker er doch ist, wenn er möglichst alles für trivial befindet...

Auf der anderen Seite sollten Leser und Hörer bereit sein, selbst zu arbeiten. Mathematik ist keine passive Angelegenheit und wer nicht denken will, halte sich lieber von ihr fern.

z.B. mag ich es, wenn in Büchern einige (Standard-)Beweise oder Teile derer dem Leser überlassen werden. In diesem Fall sollte jedoch unbedingt stehen: Die Verifikation dieser Aussage sei dem Leser zur Übung überlassen o.ä..
Wenn nämlich nichts steht, so muss man davon ausgehen, dass der Autor die Aussage für offensichtlich befindet und wenn es für einen nicht offensichtlich ist, dann ist das natürlich eine deprimierende Angelegenheit... Das hilft der eigenen Motivation nicht und dem Autor wird es wohl (ausser einem kleinen Ego-Boost?) auch nicht viel bringen, denn mehr Bücher verkauft das nicht.

Ich sollte vielleicht auch erwähnen, dass es zu obigem Ausnahmen geben kann. Hat man den Stoff schon einmal bearbeitet und verstanden, dann ist für die Repetition natürlich zu viel Text und Erklärung eher störend.

Deshalb finde ich den Heuser (Analysis) ein hervorragendes Buch für das erste Erlernen (Selbststudium), aber ein schreckliches Buch, wenn man etwas nachschlagen muss. Für den Amman, Escher gilt genau das Gegenteil.

Wink
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