Differentiale |
19.07.2004, 13:46 | SirJective | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
Differentiale vor kurzem ging wieder eine Diskussion los, was denn eigentlich Differentiale sind. In diesem Thread vom Februar kann ich nur feststellen, dass keiner der Beteiligten diese Frage beantworten konnte. Es fielen Begriffe wie "infinitesimale Größen", "Grenzwert der Differenz". Aber was ist eine infinitesimale Größe? Der Grenzwert der Differenz ist 0 - der kann es also nicht sein. Also stelle ich die Frage hier erneut: Was erlaubt mir, z.B. bei der Berechnung einer Differentialgleichung die Umformung durchzuführen? Was ist dx und warum kann ich damit multiplizieren? Dass ich damit "formal rechnen" kann, ist mir klar. Die Antwort "weil das richtige raus kommt" ist keine Antwort auf die Frage, weil sie sofort die Frage aufwirft, warum das richtige rauskommt. Gruss, SirJective |
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19.07.2004, 14:52 | Mathespezialschüler | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
RE: Differentiale Ich hab diese Schreibweise auch schon öfters gesehen, allerdings nie verstanden, was sie genau darstellen soll. Vielleicht bekomm ichs ja jetzt in diesem Thread erklärt |
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19.07.2004, 15:04 | peer | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
Differentiale Ich versuche es einmal: Sei f eine in einer Umgebung von a (a aus D_f) differenzierbare Funktion. Nach dem Mittelwertsatz gibt es für jedes x aus der Umgebung von a (x ungleich a) ein c abhängig von x aus den offenen Intervallen (x,a) oder (a,x), so daß gilt f(x) = f(a) + (x-a) f'(c). Will man nun in einer Umgebung von a Funktionswerte von f näherungsweise berechnen, so liegt es nahe die lineare Funktion n_a(x) = f(a) + (x-a) f'(a) zu verwenden. Bei vielen praktischen Approxiamtionsproblemen kommt es nur auf eine näherungsweise Bestimmung der Differenzen f(x) - f(a) von Funktionswerten an. Hierzu kann man auf n_a(x) - f(a) = (x-a)f'(a) zurückgreifen. Der rechte Term ist eine lineare Abbildung df_a und wird als Differential von f bezüglich a bezeichnet [ df_a(x-a) = (x-a) f'(a) ]. Das Differential der identischen Funktion bezüglich a an der Stelle x-a ist x-a. Man bezeichnet es mit dx. Durch Einsetzen erhält man df_a(x-a) = f'(a) dx Die von Leibniz eingeführte Schreibweise für die Ableitung erinnert an diejenige für die Differentiale ist aber nicht korrekt, sondern historisch bedingt. Ich hoffe das hilft weiter. Die Erläuterungen orientieren sich an Erklärungen aus dem dtv Atlas Mathematik. Ich fand es nicht schlecht. |
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19.07.2004, 16:39 | Passant | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
Schreibweise spielt oft eine sehr große Rolle. Mit den lateinischen Ziffern z.B. konnte man nicht viel machen. Und die Leibniz-Schreibweise ist einfach ein glücklicher Fund, wenn man z.B. INTEGRATION DURCH SUBSTITUTION macht. Außerdem war Leibniz ein Philosoph, zum Unterschied von den heutigen Mathematikern. |
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19.07.2004, 17:29 | Philipp-ER | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
Hi. Soweit ich weiß hat das ganze durchaus seine strenge, mathematische Begründung, allerdings noch gar nicht so lange, nämlich erst, seit es die moderne Notation der Vektoranalysis gibt. Zumindest glaube ich, eine ähnliche Antwort bereits in de.sci.mathematik gelesen zu haben. Mit Differentialformen kann man das dann anscheinend vernünftig begründen, dort wird dann auch endlich mal der Begriff des Differentials erklärt. Mir fehlen aber noch zu viele Grundlagen, um mich an dieses Thema heranzuwagen (klassische Vektoranalysis geht ja fast noch anschaulich und intuitiv, wenn man es nicht ganz so streng nimmt, aber bei der modernen hört es bei mir auf), für dich sollte das aber kein Problem sein. |
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19.07.2004, 21:09 | mathemaduenn | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
RE: Differentiale Hallo SirJective
Ich denke mal man kann damit nur "rechnen" wenn man die richtige Assoziation damit verbindet. Durch dx dividieren = nach x ableiten mit dx Multiplizieren = bzgl. x integrieren Ansonsten eine schöne Eselsbrücke für die Substitutions- und Kettenregel. Man kann aber schnell Blödsinn machen. Wenn man z.B. "normale" Multiplikation damit vermischt Triviales Bsp.: g(x)=x f(t)=t gruß mathemaduenn |
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20.07.2004, 00:33 | Mathespezialschüler | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
RE: Differentiale
Leopold hat mir einmal einen Ausschnitt aus einem "Abiturbuch", was wohl Mittelmaß zwischen Formelsammlung und Lehrbuch darstellt, zugeschickt. Daraus möchte ich ein paar Zeilen zitieren:
An die Stelle des "ò" soll ein Integralzeichen hin, das Integralzeichen steht also für das S von dem Wort "Summe". Das mit dem Flächeninhalt hatten wir ja schon in dem anderen Thread, der von SirJective angegeben wurde. Das mit dem dx ist also historisch bedingt und das mit dy/dx ja auch. Vielleicht kann man gar nicht so richtig erklären, warum man da jetzt mit dx multiplizieren darf, aber ihr könnt mich ja eines Besseren belehren! |
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20.07.2004, 09:31 | mathemaduenn | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
RE: Differentiale Hallo SirJective,
Mit der obigen Begründung das es sich beim "mit dx multiplizieren" nicht um eine normale Multiplikation handelt, finde ich den Zwischenschritt hierbei etwas unglücklich. Zumal wenn man das "mal" so deutlich hinschreibt gruß mathemaduenn |
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20.07.2004, 12:03 | SirJective | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
Hallo zusammen, peer, du schreibst, die Schreibweise dy/dx fuer die Ableitung ist mathematisch nicht korrekt. Warum ist sie das nicht? Kann man nicht den Quotienten der linearen Abbildungen bilden, die durch dy und dx repraesentiert werden? passant, mit den lateinischen Ziffern meinst du wohl die roemischen Ziffern? Mit denen war es in der Tat umstaendlich, schriftlich zu rechnen. Aber damals hat keiner schriftlich gerechnet, jeder gute Kaufmann hatte ein Rechenbrett (analog zum Abakus). Phillip-ER, von Differentialformen hab ich schon gehoert, und das entsprechende Kapitel im Forster, Ana III, schon ueberflogen, hab aber nicht wirklich Lust, das durchzuarbeiten. Aber ich merke mir, dass man damit eventuell eine saubere Begruendung geben kann. mathemaduenn, der naive Umgang mit Differentialen kann tatsaechlich "in die Hose gehen". Ich erinnere mich an eine Formel der Bauart , die einen Wert ungleich 1 hatte! MSS, "Ob dabei diesen Zeichen eine wirkliche Bedeutung zukommt und gegebenenfalls welche, ist unerheblich für die Anwendung der Regel." Das ist richtig, mit der Betonung auf diese Regel. Wie wir gesehen haben, kann man nicht alles mit Differentialen machen, was man mit reellen Zahlen machen kann. Aber das ist auch nicht verwunderlich: Weil Differentiale keine reellen Zahlen sind. Es gibt aber mathematisch saubere Beschreibungen der Differentiale als Differentialformen, als lineare Abbildungen, und als infinitesimale Groessen (innerhalb einer Nichtstandardanalysis). Die Multiplikation mit dx ist ohne eine dieser Beschreibungen "unsauber", bestenfalls eine Heuristik. Jedoch kann man den Gesamtschritt retten, indem man gleich zur Stammfunktion nach x uebergeht: und beachtet, dass ist, was auch mit zusammenpasst. Die "Trennung der Variablen" ist also nur eine formale Regel, um sich eine Substitution zu ersparen (die bei komplexeren Gleichungen als dieser noetig waere). Wer mathematisch absolut sauber arbeiten will, muss diese Substitution verwenden, oder die Rechenregeln fuer Differentiale begruenden. Gruss, SirJective |
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20.07.2004, 12:50 | mathemaduenn | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
Hallo SirJective wie sehen denn die Rechenregeln für Differentiale aus? gruß mathemaduenn |
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20.07.2004, 13:00 | SirJective | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
Tja, wenn ich das wuesste... Siehe vermutlich Forster, Ana III... Oder ueber den Nichtstandardzugang: Hyperreelle Zahlen (englisch) Gruss, SirJective |
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20.07.2004, 16:18 | Mario | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
Ich glaube, dass der Zugang über Pfaffsche Formen gar nicht so schwer ist, wie Ihr meint. Man nimmt zunächst eine offene Menge U aus IR^n und definiert zu jedem ihrer Punkte den Tangentialraum T_p U, d.i. die Menge aller Klassen von in p tangentialen Kurven. Dann vereinigt man alle diese Tangentialräume und erhält damit den Raum TU; das Dual sei T*U. Eine Pfaffsche Form in U ist nun ein Schnitt des Kotangtentialbündels, d.h.eine Abb. \omega: U -> T*U mit \omega(p)\in T_p* U (p\in U). Das ganze sieht furchtbar vertrackt aus, ist es aber gar nicht, wenn man sich erstmal klar gemacht hat, was so ein Tangentialraum ist. Damit kann man nun das totale Differential einer stetig diffbaren Funktion f: U -> IR^n definieren: df: U -> T*U df(p) ([a]_p) := (f o a)'(0) = (grad f (p)| a'(0)) Dabei bezeichnet [a]_p die Klasse der zu a tangentialen Kurven in U, d.h. im wesentlichen die, die sich zur Zeit 0 in p befinden und die gleiche Ableitung in 0 besitzen. dx_j ist dann das totale Differntial von x_j: IR^n -> IR, x_j (y)= y_j (Bildung der j-ten Komponente) Hoffe, das reicht erstmal, liebe Grüße Mario P.S: gescheite Literatur sind z.B. der oben schon genannte Forster III bzw. Königsberger 2. |
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23.07.2004, 21:12 | Poff | Auf diesen Beitrag antworten » | ||||
Ich denke nicht dass die obigen 'Differentialschreibweisen' wirklich was mit dem von dir dargebotenen Differentialbegriff zu tun haben, bzw ihn unbedingt bräuchten, als dass es eher reine Hilfsschreibweisen sind, deren Regelwerk recht gut mit Kettenregel & Co in Einklang steht ... Der 'Quotient' zeigt an von wo nach wo differenziert wurde oder wird und das 'Produkt' nach wo integriert wird oder werden soll |
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