Mathe als Wahlfach für die Oberstufe?

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piistgenau3 Auf diesen Beitrag antworten »
Mathe als Wahlfach für die Oberstufe?
Hallo meine Genossinnen und Genossen!

(Fast) jeder Schüler hat ein Fach, in dem er nicht so gut ist, wie in anderen. In der Oberstufe kann man teilweise wählen, welche Fächer einem zusagen und welche nicht. Ich bin jetzt in der 12 und sehr zufrieden mit meiner Wahl (LK1 Englisch, LK2 Pädagogik, AB3 Deutsch, AB4 Biologie), wäre da nicht das Fach Mathematik. Wie man meiner Abifach-Wahl vielleicht entnehmen kann, liegt meine Orientierung ganz woanders. Ich habe in meinen Berufsplänen nicht auch nur in minimalstem Maße eine Verwendung von Mathematik vorgesehen. Ich schreibe seit der 7. Klasse nur Noten im 4-5er Bereich in Mathe
und bin dank meiner Leistungen in anderen Fächern dennoch problemlos bis in die 12 durchgekommen. Ich habe außer vielleicht in der Grundschule nie ein Interesse daran gehabt, aber dennoch immer mit großem Arbeitsaufwand versucht, halbwegs mitzukommen. Doch seit der 11 frage ich mich, wozu immer noch das ganze? Wie viele Berufe gibt es, für die man Analysis benötigt? Wieviele Schüler gibt es, die sich sicher sind,nie einen solchen Beruf ergreifen zu wollen? Also ich würde sagen zirka die Hälfte meiner ganzen Stufe zählt sich dazu.
(Durchschnitt bei unserer letzten GK-Klausur: 4,4)
Ist das etwa nur an meiner Schule so?
Warum gibt es bei Mathe keine Wahlmöglichkeit ab der 11, oder sagen wir zumindest ab der 12? Deutsch ist unsere Muttersprache, klar dass die Pflicht sein muss im Abitur, eine Fremdsprache ist in unserer schnelllebigen Gesellschaft ebenfalls für gehobene Berufe oder auch nur Allgemeinbildung geradezu unentbehrlich. Aber Mathematik? Meine gesamte Verwandschaft hat keine Ahnung mehr von irgendwelchen Dingen, die ich momentan lernen muss (Funktinsschaaren). Manche hatten auch einfach das Glück in jener kurzen Periode, in der Mathematik tatsächlich ein
Wahlwach im Abitur war, zur Schule gegangen zu sein. Andere haben oder hatten Berufe in vielfältigsten Bereichen, viele sogar mit kaufmännischem Rechnen (was mir sogar halbwegs Spaß macht und ich für wesentlich sinnvoller als die Semi-höhere Mathematik halte) und sie verdienen besser damit als so mancher Mathelehrer. Und selbst ihr Nutzer hier im Forum... Wie viele glauben, dass sie dass was sie hier lernen nach dem Abi noch mal irgendwann hervorkramen werden? Meiner Ansicht nach nicht allzuviele. Auch hier dürften welche dabei sein, die Mathe nicht ganz verstehen können und wollen und es gerne Anderen überlassen, denen es Spaß macht. Ich würde gerne andere Schwerpunkte in meinem Leben setzen, als Aufgaben zu lösen, die mich quälen und einfach nur aufregen. Ich versuche es mittlerweile mit Humor zu nehmen, kann ja auch eine Form von Protest sein.
Reiße hier und da eine humoristische Zote im Matheunterricht. Meine Lehrerin regts auf, doch zumindest meine Leidensgenossen erfreuen sich daran von Zeit zu Zeit. smile
Wer ist eigentlich Schuld an der ganzen Misere? Wohl wieder die Politker... Aber selbst ein Teil meiner Lehrer prangert das mittlerweile an. Meine Mathelehrerin scheint jedoch immer noch Spaß daran zu haben, ihre Schüler zu quälen.

... Könnt ihr meine Argumentation vielleicht zumindest in Ansätzen nachvollziehen?
PSM Auf diesen Beitrag antworten »
RE: Mathe als Wahlfach für die Oberstufe?
Hallo!
Zitat:
Wie viele glauben, dass sie dass was sie hier lernen nach dem Abi noch mal irgendwann hervorkramen werden? Meiner Ansicht nach nicht allzuviele.

Ich möchte mich nach dem Abi bzw. nach dem Studium der Mathematik bedienen. (Berufswünsche: Mathematiker, Physiker oder Ingenieur. Allerdings kann ich mir auch vorstellen, Lehrer für mathematische Fächer zu werden.)

Zitat:
Andere haben oder hatten Berufe in vielfältigsten Bereichen, viele sogar mit kaufmännischem Rechnen ...

Auch in solchen Bereichen ist die Mathematik notwendig.
Beispiel: Du zahlst für eine Versicherung o.ä. jedes Jahr Geld ein, das sich verzinst.
Ein Mathematiker würde sich eine Formel aus dem Sachverhalt herleiten und das Vermögen nach n Jahren berechnen.
Jemand, der die Formel nicht herleiten kann, bräuchte für diese Berechnung viel länger.

Und überleg' mal, wie sinnvoll die Mathematik sein kann (Brückenbau, Computer, ...)

MfG
Patrick
piistgenau3 Auf diesen Beitrag antworten »

Juhu, jemand hat sich gemeldet!

Zitat:

Ich möchte mich nach dem Abi bzw. nach dem Studium der Mathematik bedienen. (Berufswünsche: Mathematiker, Physiker oder Ingenieur. Allerdings kann ich mir auch vorstellen, Lehrer für mathematische Fächer zu werden.)


Das ist schön und sei dir gegönnt! Du verstehst Mathe und du hast Spaß daran. Den will ich niemandem verderben, wirklich nicht!
Ich kann mir auch vorstellen Lehrer zu werden, Deutsch/Englisch vielleicht, mal sehen... Ich sehe, ich muss ein paar Ergänzugen anbringen. Ich bin keinesfalls dafür, den Matheunterricht ganz abzuschaffen, habe vielleicht etwas mit meinem Murren übertreiben, zugegeben... Aber es gibt genug Leute, die haben nicht dein Interesse daran teilen, genau wie du nicht das größere Interesse an Sprachen hast (nehme ich an). Diesen Leuten soll doch gewährt sein, zumindest in der Oberstufe Mathematik abzuwählen, die anderen können es gerne weiterhin belegen, wie auch Physik oder Biologie.

Zitat:
Auch in solchen Bereichen ist die Mathematik notwendig.
Beispiel: Du zahlst für eine Versicherung o.ä. jedes Jahr Geld ein, das sich verzinst.
Ein Mathematiker würde sich eine Formel aus dem Sachverhalt herleiten und das Vermögen nach n Jahren berechnen.
Jemand, der die Formel nicht herleiten kann, bräuchte für diese Berechnung viel länger.

Und überleg' mal, wie sinnvoll die Mathematik sein kann (Brückenbau, Computer, ...)


Ersteres ist das, was ich als kaufmännisches Rechnen auffasse. Das habe ich in der Sekundarstufe 1 gelernt und damit zum Teil auch vernünftige Noten erreicht. Wenn ich einen Mathematiker brauche, suche ich einen, wie wenn ich einen Arzt brauche. Ich bestreite nicht dass Mathematik ungemein sinnvoll ist, aber ich bestreite, dass sie für jeden Menschen, der Abitur machen will, sinnvoll ist und das ganz vehement! PSM, du mit 15 wirst dich vielleicht auch noch umorientieren...

Nachtrag:
Ich schreibe übrigens morgen meine erste 12er Klausur und bin vor allem von den ganzen absurden Formulierungen genervt, die unsere Lehrerin verlangt. Beispiel:
ft(x)=x^3-3tx²+2t²x
zur Symmetrie nun:
Für alle t€R sind die Graphen der Funktionen von ft weder punktsymmetrisch zu 0 noch achsensymmetrisch zur y-Achse, da die Exponenten der Potenzen von x in der Funktionsgleichung sowohl gerade als auch ungerade sind.

Dies nur als Beispiel rausgegriffen. Wir müssen immer ganz ausformulieren. Die komplette Funktionsdiskussion ist bei dieser Funktion nicht gerade kurz. Und kleine Rechenfehler beim auflösen nach x passieren jedem mal. Da muss man dann schnell mal 1-2 Seiten durchstreichen und neuanfangen wenn am Ende nichts Sinnvolles 'rauskommt. Und schaff dann mal in 45min zwei von dieser Sorte. Im Grundkurs! Herrlich, nicht wahr? =)
carsten Auf diesen Beitrag antworten »

Hallo,

genau so wie Du argumentierst um Deutsch und Fremdsprachen eine Berechtigung in der Oberstufe zu geben, gibt es genug (wenn nicht mehr) Argumente fuer Mathe. MAthematik ist uebrigens die Grundlage fuer viele andere Naturwissenschaften. Und zum Beispiel Physik duerfte in der Oberstufe absolut unmachbar sein ohne Mathematik in der Oberstufe.

Es geht ausserdem nicht nur darum die Schueler mit irgendwelchen Aufgaben zu quaelen, sondern logisch denken zu trainieren.

Ich moechte jetzt nicht mit Deinen Methoden argumentieren, aber wieviele Leute brauchen denn bitte das was in der Oberstufe in Deutsch drankommt im weiteren Leben. Ich habe seit dem nie wieder Stilmittel aus einem Text rausgesucht.

Ich halte es fuer wichtig, dass die Oberstufe eine grundlegende Ausbildung in allen Richtungen vermittelt und halte es fuer unverantwortlich, wenn man Mathematik in der Oberstufe abwaehlen kann. Es gibt schon genug Unterschiede wie viel und wie tief manche Stoffgebiete behandelt werden.

Meine Meinung zur Mathematik ist, dass sie eines der schoensten Faecher ist. Im Prinzip ist Mathematik auch nur eine Sprache. Aber, es gibt immer ein richtig oder falsch, es ist ein sehr exaktes Fach, wenn nicht das Fach der Exaktheit. Was man von vielen anderen Faechern nicht behauoten kann, in denen ist man des oefteren der subjektiven Beurteilung der Lehrer ausgesetzt.

Gruesse
Carsten
piistgenau3 Auf diesen Beitrag antworten »

Hallo Carsten.
Ich verzichte mal aufs zitieren und antworte darauf direkt.
Zu Physik in der Oberstufe kann ich nicht viel sagen, denn das Fach habe ich abgewählt, eben weil es zu viel mit Mathematik zu tun hat.
Wenn ich mein logisches Denken trainieren will, spiele ich Go. Das logische Denken von dem du sprichst, ist theoretisch. Wenn man logische Schulssfolgerungen aus tatsächlichen Sachverhalten ziehen muss, realistische Zusammenhänge interpretieren muss, so halte ich den Deutschunterricht und die Gelsellschaftswissenschaften für wesentlich realitätsnäher. Kann natürlich sein, dass du und viele hier das anders sehen. Die maximale Größe eines LKws zu erreichnen, damit er unter einer parabelförmigen Brüche durchpasst, oder die optimalen Maße für eine Konservendose werde ich kaum jemals brauchen. Dass Dinge wie Anspruch auf Selbstbestimmung, Verantwortung im sozialen und kulturellen Kontext, Erörterung und Refexion von Themen für das Leben eines Durchschnittsdeutschen sinnvoller sind, steht doch wohl nicht in Frage, oder? Objektivität hin oder her, letztendlich ist Logik nicht die Lösung für alle Probleme im Leben. Im Endeffekt bleibt bei der Mathematik kein Platz für Kreativität und ich bin ein Mensch der Kreativität, musische Fantasie und emotionale Intelligenz im Leben sehr viel höher schätzt, als logisches Folgern oder abstraktes Denken.
PSM Auf diesen Beitrag antworten »

Hallo!
Zitat:
genau wie du nicht das größere Interesse an Sprachen hast (nehme ich an).

Mir macht es tatsächlich nicht so viel Spaß, mich mit Sprachen zu beschäftigen, was aber nicht bedeutet, dass ich diese Fächer nicht mag. Denn: wenn ich mal studiere, werde ich nicht drum herum kommen, Bücher auf Englisch zu lesen.
Daher sind mir auch die sprachlichen Fächer relativ wichtig.

Mal angenommen, du wolltest Wirtschaftswissenschaften studieren, dann wirst du auch nicht an der höheren Mathematik vorbeikommen. Dort musst du auch mit Funktionsgleichungen umgehen können(zumindest habe ich das mal gehört). Studenten der Wiwi, die in der Oberstufe keine Mathematik hatten, würden sich im Studium schwer tun.
Natürlich ist es mit klar, dass du Mathe nicht brauchst, wenn du Deutsch oder Englisch studieren möchtest, trotzdem schaden diese mathematischen Kenntnisse nicht.

MfG
Patrick
 
 
piistgenau3 Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von PSM
Mal angenommen, du wolltest Wirtschaftswissenschaften studieren, dann wirst du auch nicht an der höheren Mathematik vorbeikommen


Will ich aber nicht. Definitiv nicht. smile

Zitat:
trotzdem schaden diese mathematischen Kenntnisse nicht.


Wissen schadet nie. Ja, aber ob es auch haben will, ist die Frage. Ich könnte auch Vulgärlatein oder sowas lernen. Gut, viele Menschen wollen auch nicht deutsche Textformen analysieren lernen. Aber das halte ich immer noch für sinnvoller als Mathematik. Es ist schließlich unsere Muttersprache und die braucht jeder deutsche Bürger täglich. Da können solche Kenntnisse nur weiterhelfen. Funktionsschaaren habe ich allerdings nicht jeden Tag vor Augen... Gut im Moment schon, morgen schreib ich ja Klausur... Hab aber keine Lust gehabt Aufgaben zu lösen, die einen verstehe ich nicht und die anderen sind zu anstrengend...

Wenn schon Schulsystem ändern dann auch ganz. Es müsste einfach mehr Alternativen geben und für die Leute, die genau wissen, was sie später mal machen wollen, Wahlmöglichkeiten. Den anderen kann ja davon abgeraten weden.
Tobias Auf diesen Beitrag antworten »

Macht es denn Sinn, aus einer Abneigung heraus die Prioritäten der Wissenschaften pauschal in eine Hirarchie zu zwängen? Jeder hat seine Vorlieben und Schwächen und wird in der Schule -die ein breites Spektrum vermitteln muss- mit beidem konfrontiert. Das ist sehr sinnvoll und wird sich auch nicht ändern. Versuche das Beste daraus zu machen, denn Diskussionen dieser Art haben noch nie weitergeholfen.

Im Übrigen wird man in der Mathematik ohne Kreativität nicht weit kommen. Und soziale Kompetenzen und musische Begabungen haben Mathematiker genauso wie Sozialpädagogen...
piistgenau3 Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Macht es denn Sinn, aus einer Abneigung heraus die Prioritäten der Wissenschaften pauschal in eine Hirarchie zu zwängen? Jeder hat seine Vorlieben und Schwächen und wird in der Schule -die ein breites Spektrum vermitteln muss- mit beidem konfrontiert. Das ist sehr sinnvoll und wird sich auch nicht ändern. Versuche das Beste daraus zu machen, denn Diskussionen dieser Art haben noch nie weitergeholfen.


Ach nein? Wieso gab es dann mal mehrere Jahre lang die Möglichkeit Mathematik abzuwählen in der Oberstufe?
Ich bin mit meiner "Abneigung" sicher nicht allein. Man wird mit seinen Schwächen konfrontiernt. Gut das mag sinnvoll sein, eine Zeit lang, aber ich emfinde den Mathematikunterricht seit der Mittelstufe als Tortur, auch wenn er da noch sinnvoll erschien. Ich habe mich nicht beschwert. Aber irgenwann muss doch mal Schluss damit sein. Wenn nicht in der 11, dann wenigstens in der 12.

Zitat:
Im Übrigen wird man in der Mathematik ohne Kreativität nicht weit kommen. Und soziale Kompetenzen und musische Begabungen haben Mathematiker genauso wie Sozialpädagogen...


Wohl kaum. Du willst mich des Pauschalisierens bezichtigen, und willst
mir jetzt so etwas fadenscheiniges erzählen? Ja Mathematik hat was mit Kreativität zu tun, wenn es auch die kargste Möglichkeit zu sein scheint, diese einzusetzten. Ich kenne Mathematiker und Sozialpädagogen (Meine Eltern sind welche) und ich weiß auch, dass kaum ein Mathematiker die Nerven hätte und die soziale Aufopferung aufbringen würde, den Beruf meiner Mutter auch nur 2 Wochen auszuüben. Wenn er so große emotional-soziale Kompetenzen hätte, dann wären die ihm doch auch wichtiger, oder nicht? Du pauschalisierst jeden Menschen als gleichwertig sozial. Lächerlich.

Ich weiß, das mag gewissermaßen eine Grundsatzdiskussion sein, bei der ich in hier allein mit meiner Meinung da stehe, aber auch ihr müsst einsehen, dass vieles von dem seine Richtigkeit hat und dass eine Menge Menschen so denken wie ich.
Tobias Auf diesen Beitrag antworten »

Ich "pauschalisiere" nicht jeden Menschen als gleichwertig sozial sondern behaupte, dass es höchst individuelle Werte sind, die zwar bei jedem Menschen verschieden ausgeprägt sind, sich aber nicht so einfach in die Klischeekästen "soziale Menschen" und "Mathematiker" einteilen lassen.

Die Tatsache, dass man Mathe früher abwählen konnte und heute nichtmehr bestätigt doch genau meine Meinung, dass Mathe genauso ernstzunehmen ist wie jedes andere "wichtige" Schulfach auch.

Und zuletzt: Na klar gibt es Möglichkeiten, sich Mathe vom Hals zu schaffen: Du musst die Schulform wechseln und einen fachgebundenen Schulabschluss machen. Da du aber die "allgemeine Hochschulreife" anstrebst, musst du dich auch mit Mathe rumquälen. Die Mathematikbegeisterten haben ja schließlich auch "Laberfächer" an der Backe. Hammer

MfG
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »



zu dem, was du da alles gesagt hast, fällt mir sehr viel ein. Zunächst einmal wird jeder unschwer feststellen, daß der absolute Mathematik-Frust aus dir spricht, sicher genährt durch viele negative Erlebnisse in Verbindung mit dem Fach. Aber deine Schlußfolgerung, weil du - soweit absehbar - Mathematik später nie mehr bräuchtest, könnest du jetzt gleich darauf verzichten, ist schon sehr gewagt. Denn auf welches Fach träfe das nicht zu?
Was habe ich in der Schule nicht alles gelernt: „Mutter Courage“ von Brecht - nie mehr gebraucht. Das Periodensystem der Elemente - unnützes Wissen. Schönbergs Zwölftonmusik - akademisches Tönegebräu. Die Revolution von 1848 - wir leben in der modernen Zeit. Ciceros Rede gegen Catilina - was interessieren mich die alten Römer. Das Ruhrgebiet als industrielle Region - ich lebe im rußfreien Baden-Württemberg. Martin Luther King und die Bürgerrechtsbewegung - haben wir in Deutschland nicht selber genug Probleme?

Soll ich die Liste fortsetzen?

Das alles habe ich gelernt, aber nie mehr gebraucht. Ach - fast hätte ich es vergessen - die Kurvendiskussion hätte ich, wäre ich nicht Mathematiklehrer geworden, wohl auch nie mehr gebraucht.

Nein, das stimmt alles gar nicht. Sämtliches, was ich nicht gebraucht habe, habe ich irgendwann einmal doch gebraucht. Es gibt ja von allem einen vordergründigen Nutzen und einen eher hintergründigen, einen Nutzen auf den zweiten Blick sozusagen. Ich war zum Beispiel an Literatur nie sonderlich interessiert. Und dennoch bin ich froh, daß mir der Deutschunterricht einen groben Überblick über die deutsche und teilweise auch europäische Literatur mitgegeben hat. Manchmal ist man über die Zusammenhänge selber überrascht:
Vor vielen Jahren hat mein Großvater für meine Familie einen Stammbaum erstellt. Aber alle Äste endeten irgendwo nach 1650, weiter zurück hat er nichts gefunden. Warum ist das so, habe ich mich gefragt. Und die Antwort ist: Weil durch die Zerstörungen des 30jährigen Krieges viele in Pfarrhäusern aufbewahrte Ehe-, Tauf- und Sterbeurkunden vernichtet waren. Und schildert nicht Brecht in seinem Stück eindringlich die Verrohung der Menschen in den Wirren dieses Krieges? Und haben wir nicht vor wenigen Jahren gesehen, wie im ehemaligen Jugoslawien Nachbarn, die einst gemeinsam Feste miteinander gefeiert hatten, sich in ethisch-religiösem Haß die Köpfe einschlugen?

Alles hängt mit allem zusammen. Und je mehr ich darüber weiß, desto besser finde ich mich zurecht. Jedes Ding hat mehrere Facetten. Je mehr von ihnen ich wahrnehme, desto mehr Wahrheit erschließt sich mir. Albrecht Beutelspacher („In Mathe war ich immer schlecht ...“, Vieweg-Verlag - ein Buch, das ich dir ans Herzen legen möchte) bringt neben vielen anderen die folgende Beschreibung der Mathematik: Mathematik ist eine Weise, die Welt zu erfahren.
Wenn du in einem alten Dom eine Rosette betrachtest, kannst du dies unter kunstgeschichtlichen, religiösen, architektonischen oder anderen Vorzeichen tun, aber eben auch unter mathematischen. Dann wird dir die Symmetrie der Figur ins Auge stechen, du wirst Sechs- und Zwölfecke entdecken, oder es werden dir möglicherweise auch Unsymmetrien auffallen, etwas, was stört: Gibt es dafür vielleicht eine religiöse Deutung?

Wenn sich die Kurvendiskussion im formalen Rechnen erschöpft, dann ist sie wirklich überflüssig. Aber ist es nicht spannend, wie die Mathematik es macht, den Begriff der Steigung mit Hilfe des Ableitungsbegriffs von Geradem auf Krummes zu übertragen? Ist dir bewußt, daß, wenn in der gegenwärtigen Steuerdiskussion vom Grenzsteuersatz die Rede ist, das in Wirklichkeit die Ableitung der Steuerfunktion (worin das zu versteuernde Einkommen bezeichnet) ist? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, daß, wenn die Opposition die steigenden Arbeitslosenzahlen beklagt, während die Regierung bei denselben Zahlen von einem Rückgang der Zunahme spricht, die einen von der ersten (>0) und die anderen von der zweiten (<0) Ableitung reden? Und wird nicht bei der Kurvendiskussion trainiert, eine Strategie zu entwickeln, ein komplexes Problem in leichter zu lösende Bestandteile zu zerlegen - eine Fähigkeit, die man doch auch im wirklichen Leben außerhalb der Kurvendiskussion braucht?

Ich weiß nicht, ob es mir mit diesem Beitrag gelungen ist, deine Abneigung gegen die Mathematik abzubauen. Aber ich wäre schon froh, wenn du über deine Vorurteile noch einmal gründlich nachdächtest.
piistgenau3 Auf diesen Beitrag antworten »

zu Tobias:
Ich möchte auch nicht zu Schubladendenken anregen. Es gibt sicher Mathematiker die sozialer sind und andersrum... Ich will auf Interessen, nicht auf individelle Werte eingehen.

Ich würde es nicht als Tatsache bezeichnen, dass jenes Fach so sinnvoll für jeden Menschen auf der Welt ist, gerade als Mathematiker nicht.
Diese Entscheidung haben Politiker getroffen, die ich nicht gewählt habe. Ob sie richtig oder falsch ist, das ist eine Frage, die man nun mal nicht nach der Form y=x lösen kann.

"Labern" sollte jeder Mensch mit sozialen Ambitionen können. Und Pflichtlaberfächer sind lediglich: Deutsch, Fremdsprache, Sowi, Geschichte (beide eingeschränkt) und Reli/Philo wenn ich mich recht erinnere. Das sind alles höchst allgemeinbildene Themen, die man in ein Gespräch mit einem andern Menschen gut einbringen kann. Ich sehe allerdings selten Menschen, die nichts lieber tun als sich über Matheformeln in ihrer Freizeit zu unterhalten, es sei denn sie müssen.

nun zu Leopold:

Du bist sehr weise und besonnen, das sehe ich. Und ich bin dir dankbar, dass du dich so umfangreich zu meinen Äußerungen ausgelassen hast. Es ist dir allerdings so schnell noch nicht gelungen meine Abneigung zu kurieren, aber ich sehe ein, dass ich damit leben muss. Es gibt gute und schlechte Seiten im Leben und für mich ist die Mathematik subjektiv gesehen einfach etwas, wogegen ich tiefe Abneigung entwickelt habe, egal wie viele positive Effekte sie auf unsere Gesellschaft hat. Natürlich ist die Mathematik heutzutage unentbehrlich. Die von dir genannten postiven Aspekte kann ich durchaus nachvollziehen und auch als interessant auffassen. Aber du als Mathematiklehrer hast auch Spaß daran und willst deine Seite der Medallie beleuchten. Einiges von dem, was ich gesagt habe mögen Vorurteile gewesen sein, ja. Aber ich bleibe dennoch bei meinem Standpunkt, dass der Mathematikunterricht, so, wie ich ihn an meiner Schule erlebt habe und erlebe, niemandem zuzumuten ist, der nicht ein grundeigenes Interesse daran hat. Hast du nicht auch Schüler wie mich? Was machst du mit denen, wenn sie einfach nicht zu begeistern sind, wenn ihnen das Interesse fehlt? Wenn sie in der Basilika nicht die geometrischen Formen sehen wollen? Würdest du nicht lieber nur Schüler in deinen Kursen haben, die von der Mathematik begeistert sind, wie du, oder sie zumindest verstehen können und wollen?

P.S.: Danke fürdie Buchempfehlung, ich werde mal danach Ausschau halten.
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

Ja, ich habe viele Schüler, die sich wie du nichts sehnlicher wünschten, als Mathematik abwählen zu können. (Aber viele von denen würden am liebsten auch jedes andere Fach abwählen, weil sie für nichts mehr zu begeistern sind.) Und ich weiß, das klingt jetzt altklug, aber man kann sich im Leben nicht immer nur die Dinge aussuchen, die einem Spaß machen. Auch das ist eine Erfahrung: sich durchbeißen zu lernen, sich mit Unangenehmem auseinanderzusetzen. Und das Problem, das du mit Mathematik hast, haben andere mit anderen verpflichtenden Fächern. Soll man diese deshalb alle zur Wahl stellen?
piistgenau3 Auf diesen Beitrag antworten »

Wäre ne Idee. Augenzwinkern Naja, Spaß bei Seite für mich erscheinen Deutsch und Englisch so sinvoll, wie für euch hier die Mathematik. Ich sehe es ja ein. Ich bin zu subjektiv vorgegangen... Es gibt, vor allem hier im Forum, genug Leute, die genau der gegensätzlichen Meinug sind. Wenn ich ehrlich bin, ich sehe durchaus ein, dass der Stoff den wir im Kurs bearbeiten im Grunde sinnvoll ist, aber ich komme mit Strukturierung und Tempo bei uns im Unterricht nicht gut klar und da bin ich nicht der einzige. Unsere Lehrerin schreibt tonnenweise Rechenwege an die Tafel, wir sind nur am abschreiben, sollen noch kommentieren und den Rest zu Hause aufarbeiten, plus Hausaufgaben, wofür man gut und gerne mal 1-2 Stunden brauchen kann, oder auch länger, gerade wenn man wie ich "mit fehlenden elementaren Kenntnissen" (wie ich schon öfters unter meinen Klausuren stehen hatte), ausgestattet ist. Kein anderes Fach läuft so ab, selbst meine LKs sind außerordentlich angenehm und erholsam dagegen. Aber naja, dann muss ich da eben durch und meine erbärmliche Klausur, die ich morgen verfassen werde, kann ich dann vielleicht hier aufarbeiten und es besteht doch noch ein Funken Hoffnung für mich... Auch wenn ich eigentlich beschlossen hatte, meine Energie in andere Fächer zu stecken...
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

Du kannst ja hier öfter vorbeischauen.
Wir beantworten auch die "dümmsten" Mathematikfragen, die sich dann manchmal als gar nicht so dumm herausstellen.

Und noch etwas: Könntest du deinen Namen ändern in Piist3aufganzegenau? Augenzwinkern
piistgenau3 Auf diesen Beitrag antworten »

Na gut, danke für die schönen Gespräche heute. =)
Das mit dem Namen muss ich mir aber noch überlegen. Augenzwinkern
Und nun ist Schlafenszeit, denn morgen in der 6./7. heißt es "Bögen raus, Matheklausur"! Toller Termin für ne Klausur, nicht?
Tobias Auf diesen Beitrag antworten »

An der Uni schreibt man Samstags oder auch um 17Uhr abends...
piistgenau3 Auf diesen Beitrag antworten »

Und da hat man noch 5 Stunden Vorlesung vorher? Wie auch immer, ich sehe schon, harte Zeiten kommen auf mich zu, das Leben wird nicht einfacher von Jahr zu Jahr...
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