Was läuft schief im Mathematikunterricht?

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Leidender Auf diesen Beitrag antworten »
Was läuft schief im Mathematikunterricht?
Meine Frage:
Hallo,

in Hinblick auf die hier sicherlich vorhandenen umfangreichen Erfahrungen mit Problemen, die aus dem Mathematikunterricht herrühren, möchte ich fragen:
Was läuft schief im Mathematikunterricht in Deutschland?
Es sind ja nicht immer die mathematischen Inhalte, die Shwierigkeiten machen, sondern deren unzulängliche Vermittlung an den Schulen und vielleicht auch unpassende Aufgabenstellungen und ähnliches.
Ich fände es gut, wenn hierzu eine konstruktive Diskussion beginnt, die zunächst nach möglichen Ursachen fragt und dann auch Lösungsvorschläge entwickelt.

Meine Ideen:
Ein erster Punkt, den ich selber Blick habe: Oft wird nicht genügend auf die vorhandenen (Fehl-)Vorstellungen der Schüler Rücksicht genommen. Dabei sollte man versuchen, dort anzuknüpfen versuchen.
Iorek Auf diesen Beitrag antworten »
RE: Was läuft schief im Mathematikunterricht?
Zitat:
Original von Leidender
Ich fände es gut, wenn hierzu eine konstruktive Diskussion beginnt, die zunächst nach möglichen Ursachen fragt und dann auch Lösungsvorschläge entwickelt.


Das ist ein ziemlich hochgestecktes Ziel, eine umfassende Bearbeitung könnte ich mir als Doktorarbeit in der mathematischen Fachdidaktik, wenn nicht sogar als Habilitationsschrift vorstellen.

"Offensichtliche" Probleme sind mMn eine falsche Einstellung von zu Hause ("Ich war in Mathe immer schlecht, ich habe Mathe immer gehasst, Mathe hat mir nie Spaß gemacht und ich habe Mathe auch nie gebraucht, also wird auch meine Tochter/Sohn in Mathe immer schlecht sein...), fehlende Zeit (kurzfristige und unüberlegte Umstellung auf eine zwölfjährige Schullaufbahn in einigen Bundesländern) bzw. immer größeres und notwendiges Fächerangebot und in Anlehnung an den ersten Punkt schlichtweg Angst ("Meine Mama sagt immer, Mathe ist so schwer und mein Papa hat damals in der Oberstufe überhaupt nichts mehr verstanden").

Zum Teil spielt natürlich auch fachliche oder didaktische Inkompetenz der Lehrer eine Rolle, besonders tragisch wenn sowohl fachlich als auch didaktisch nichts vorhanden ist. Dieser Punkt scheint sich aber aktuell zumindest ein bischen zu bessern, da mit dem aktuell passierenden Wechsel der Lehrergeneration neue Ideen und neue didaktische Konzepte in den Schulen Einzug halten; ob das sinnvoll ist, kann man vorher natürlich nicht sagen.

Weitere Punkte die mir noch auf Anhieb einfallen:
  • unterschiedliche Auffassung von Mathematik im
    - Studium (Mathematik)
    - Studium (Naturwissenschaften, angewandte Mathematik)
    - Studium (sonstige (nicht-naturwissenschaftliche) Fächer, die Mathematik brauchen)
    - Berufsausbildung
    - Schule
  • Schuldzuweisungen (Die Schule muss das leisten <-> Die Uni muss das leisten)
Esto Auf diesen Beitrag antworten »
RE: Was läuft schief im Mathematikunterricht?
Es ist immer leicht, die Schuld auf den Lehrer/Schule zu schieben. Sicherlich kann die Vermittlung miserabel sein. Aber der Schüler kann mehr Eigeninitiative zeigen. Den Lehrer wechseln/Lerngruppen bilden/Nachhilfeunterricht und und und....
Leidender Auf diesen Beitrag antworten »

@Iorek: Danke für die vielen Anregungen. Eine Diskussion ist sicher keine Masterarbeit - aber mal sehen, wie weit wir hier kommen. Ich bin nach deinem konstruktiven Beitrag recht optimistisch.

@Esto: einverstanden, wenn du keine konkrete Kritik an der Schule üben willst (das wäre mitunter aber durchaus nützlich). Du könntest statt dessen überlegen, wie du dir einen nicht-miserablen Unterricht vorstellst. Welche Bedingungen sollten erfüllt sein, damit du Mathe-Unterricht gut findest - und damit möglichst nicht Lehrer-Wechsel und Nachhilfe gebraucht werden.
Gast11022013 Auf diesen Beitrag antworten »
RE: Was läuft schief im Mathematikunterricht?
Ich sehe zwei Punkte.

Erstens läuft Mathematikunterricht in der Schule meist so ab, dass man Formeln und Resultate vor den Latz geknallt kriegt und man kann dann auf drei Arten darauf reagieren:

1.) Man nimmt diese Dinge als gottgegeben hin und fragt nicht weiter nach, tut aber seinen Teil und lernt sowas auswendig um am Ende das Abitur in der Tasche zu haben. Dann war es das mit Mathematik, sofern einem nicht dann im weiteren Studium oder Berufsleben hin und wieder etwas minimal Mathematisches vor die Füße fällt.

2.) Man resigniert.

3.) Man will mehr wissen und studiert vllt. sogar deswegen Mathematik.


Mathematikunterricht habe ich immer als sehr demotivierend empfunden, nicht aufgrund von Misserfolgen, sondern, weil man so durchkommt, ohne zwangsläufig eigentlich zu verstehen, was eigentlich gemacht wird. Insbesondere die stochastischen Inhalte kamen mir zu Schulzeiten alles andere als vernünftig hergeleitet vor.



Das andere Problem sehe ich darin, dass von Seiten der Schülerinnen und Schüler sofort eine ablehnende Haltung gegenüber Mathematik eingenommen wird. Und das ist nicht nur in der Schule so: Jeder, dem ich erzähle, dass ich Mathematik studiere, reagiert in etwa so: "Ohhh. Alles, doch das bloß nicht!". Es scheint die Meinung weit verbreitet zu sein, dass Mathematik etwas Fürchterliches, Unschaffbares oder Trockenes ist. Und sowas überträgt sich dann natürlich auf die Schülerinnen und Schüler. Es bauen sich Ängste auf oder wenn nicht das, so Desinteresse oder gar Widerwillen.
Iorek Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von Leidender
Du könntest statt dessen überlegen, wie du dir einen nicht-miserablen Unterricht vorstellst. Welche Bedingungen sollten erfüllt sein, damit du Mathe-Unterricht gut findest - und damit möglichst nicht Lehrer-Wechsel und Nachhilfe gebraucht werden.


Das kannst du 10 Erziehungswissenschaftler fragen und hast am Ende 15 verschiedene Meinungen, von denen sich mindestens 20 widersprechen. Vorschläge zu gutem Unterricht gibt es wie Sand am Meer, gefühlte 95% haben aber alle das gleiche Problem: sie sind in der Realität nicht durchführbar. Diese Modelle gehen häufig von einer idealen Klasse mit idealen Bedingungen aus um dann idealen Unterricht machen zu können; Idealbedingungen, die man (aus vielfältigen Gründen) kaum noch findet.

Nebenbei: Lehrer-Wechsel sind meines Wissen nicht so einfach wie man glaubt. Und Nachhilfe ist leider nicht für jeden finanziell machbar. Somit bleiben dann vor allem sozial schwache Kinder hinter ihren eigenen Möglichkeiten zurück; zu Hause können sie auch außerhalb der Schule häufig nicht so gefördert werden, wie sie es nötig hätten. Das muss nicht einmal Nachhilfe sein, es kann ein gutes Buch sein, dass nicht gekauft wird/werden kann, Lernspiele oder der Chemiebaukasten.
 
 
Gast11022013 Auf diesen Beitrag antworten »

Sicher gibt es viele Familien, in denen die Förderung der Kinder aufgrund finanzieller Probleme/ Engpässe nicht mglich ist.

Oft kommt es mir aber auch so vor, dass dies gerne als Begründung dafür vorgeschützt wird, dass eben nicht alles so ist, wie es sein sollte.

Es hat auch mit Prioritätensetzung der Eltern zu tun, ob sie ihrem Kind dieses oder jenes finanzieren können.
Esto Auf diesen Beitrag antworten »

Das ist bei HartzIV Familien nicht so einfach sich überhaupt was zu finanzieren.
Da sind schon 20 Euro für ein gutes Buch nicht bezahlbar.

Das hat dann auch nichts mehr mit Prioritätensetzung zu tun.
Leidender Auf diesen Beitrag antworten »

das Thema (mangelndes) Geld sehe ich hier nicht so im Vordergrund - wenn es in der Schule gut läuft, muss man zuhause auch nicht viel nachhelfen ...
aber wie sollte es laufen?
Iorek Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von Leidender
aber wie sollte es laufen?


Siehe meinen Beitrag oben.

Auch sonst ist diese Frage nicht so konkret zu beantworten wie du es anscheinend gerne hättest. Man hat 30 Schüler in einer Klasse, jeder ist ein anderer, individueller Lerntyp, jeder braucht seine eigene Zeit um ein Konzept oer eine Aussage zu begreifen, zu verstehen und zu verinnerlichen, jeder hat seine eigene Motivation, sich mit der Mathematik (nicht) zu beschäftigen, jeder hat...
Leidender Auf diesen Beitrag antworten »

es geht doch nicht darum, die Frage konkret, eindeutig und erschöpfend zu beantworten, sondern möglichst viele Meinungen und Ideen zu sammeln.
Deine letzte Aussage könnte man auch so formulieren: In einem guten Unterricht muss der Lehrer viel mehr auf die individuellen Stärken und Schwächen der einzelnen Schüler eingehen.
MrBlum Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von Leidender
das Thema (mangelndes) Geld sehe ich hier nicht so im Vordergrund - wenn es in der Schule gut läuft, muss man zuhause auch nicht viel nachhelfen ...
aber wie sollte es laufen?


Geld hat damit in der Tat nichts zu tun.

Es mangelt an der Fähigkeit, für Mathematik zu begeistern. Kaum jemand macht sich die Mühe, die Allgegenwart dieser exaktesten aller Wissenschaften in unserem Leben zu illustrieren. (Ist auch sicher eine Herausforderung.)
Dafür gibt es dann ab und zu ein nettes Buch, das sicher auch seine Leserschaft erreichen kann - leider aber nicht den Schüler, der solches erst mal erfahren müsste, bevor er sich super spannende Physik-Rätsel reinzieht oder gar einen Egmont Colerus liest und dabei regelrecht "abschnallt" ... was für eine Freude das mathematische Denken auch für eher "musische" Menschen eigentlich sein kann. (Was immer die von eher mathematischen unterscheiden soll, da das ja auch schon längst nicht mehr als gegensätzlich zu sehen ist ...)

Empathie und soziale Kompetenz muss man von einem Lehrer fordern - schlaue Besserwisser braucht diese Welt schon lange nicht mehr.
Ob der Lehrer Mathe kann wie ein Weltmeister ist wurscht, er muss es einfach (!) erklären können!
Iorek Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von Leidender
In einem guten Unterricht muss der Lehrer viel mehr auf die individuellen Stärken und Schwächen der einzelnen Schüler eingehen.


Nein, das wollte ich nicht direkt damit sagen. Vielmehr sollte es aktuelle Probleme des Unterrichts ansprechen, und die Komplexität des ganzen Themas an der Oberfläche ankratzen; allerdings ohne einen Lösungsansatz zu geben, dazu fühle ich mich auch gar nicht in der Lage. Bloß weil man sich individueller um einen Schüler kümmern kann, muss es sich dabei nicht um guten Unterricht handeln, ansonsten wäre das Problem mit Einzelnachhilfe im Umfang von 3 Stunden/Woche erledigt (finanzielle Liquidität und Kompetenz des Nachhilfelehrers mal vorausgesetzt). In die andere Richtung kann es durchaus auch guten Unterricht geben, der nicht auf jeden Schüler einen individuellen Ablauf maßschneidert.

Da es dich ja direkt betrifft, teile du uns doch mal mit, wie guter Mathematikunterricht aussehen sollte, was man verbessern sollte.

@MrBlum, die Fähigkeit den Inhalt "einfach" zu vermitteln ist bisher stark unterschätzt. Quantative und qualitative Reduktion kommt zumindest bei mir auch im Studium zu kurz, stattdessen wird möglichst viel Wert auf Fachwissen gelegt. Wie man dieses Wissen vermitteln soll, ist vernachlässigbar...

Allerdings sollte man aufpassen, dass man nicht zu stark vereinfacht. Diesen Fehler machen einige Lehrer die ich kenne ganz gerne. Dietrich Hering hat dazu in seinem Aufsatz "Zur Fasslichkeit naturwissenschaftlicher und technischer Aussagen" einige Kriterien formuliert, nach denen eine Vereinfachung korrekt ist. Seine Hauptaussage dabei lässt sich zusammenfassen als:
"Didaktische Vereinfachung einer wissenschaftlichen Aussage ist der Übergang von einer differenzierten Aussage zu einer allgemeinen Aussage gleichen Gültigkeitsumfanges über den gleichen Gegenstand unter dem gleichen Aspekt", man soll also nicht auf Teufel komm raus vereinfachen, sondern soll auf Korrektheit der vereinfachten Aussage Wert legen sowie einen problemlosen Übergang zur komplizierteren, erweiterten Aussage ermöglichen. Ein Beispiel für eine schlechte Reduktion wäre etwa die nette Erklärung für Kinder, dass die Babys vom Storch gebracht werden. Die Aussage ist nicht nur falsch, sie lässt auch keinen problemlosen Übergang zur korrekten Aussage zu, man muss also zuerst das falsche Wissen aus dem Kopf bekommen, was sehr hinderlich ist.

Bevor das aber jetzt noch weiter ins Detail geht, belasse ich es erstmal dabei. Augenzwinkern
Leidender Auf diesen Beitrag antworten »

zunächst mal: Ich gehe davon aus, dass alle die hier lesen oder schreiben von Mathematik-Unterricht betroffen sind oder waren. Da bin ich also nix Besonderes in dieser Hinsicht. Sicher gibt es Unterschiede im Grad der Betroffenheit.

Mehr auf die Schüler einzugehen heißt ja nicht automatisch, auf jeden einzelnen permanent individuell einzugehen wie beim Einzelunterricht. Es würde manchmal ja schon reichen, wenn zumindest zwei verschiedene Angebote / Erklärungen / Aufgaben im Unterricht vorkommen würden. Das wären 100% Steigerung...
Wenn man dann ab und zu auch mal ganz persönliche Hilfe bekommt - umso besser. Das kann ja auch von den Mitschülern kommen, wenn die dazu in der Lage sind.
Iorek Auf diesen Beitrag antworten »

Du scheinst ja aber sehr unzufrieden mit deinem Lehrer/Klasse/Unterricht zu sein. Ich persönlich hatte für ein halbes Jahr eine schreckliche Lehrerin in Mathe, ansonsten war ich immer sehr zufrieden und erinnere mich gerne an meinen Unterricht zurück.

Verschiedene Erklärungsansätze sollten natürlich selbstverständlich sein, wenn der Lehrer das nicht leisten kann, ist das natürlich schade, aber meistens gibt es dann doch noch eine andere Möglichkeit (Lehrer des Parallelkurses fragen, im Buch nochmal nachlesen...). Wenn man über längere Zeit unter so einem Lehrer "leiden" muss, kann man sich aber auch wehren und selber dafür sorgen, dass man mit dem Stoff klar kommt. Jüngere Schüler sind da natürlich etwas benachteiligt, weil sie solche Situationen noch schlecht einschätzen können, da sind dann aber auch die Eltern gefordert. Das geht auch unabhängig von der finanziellen Situation.

Was ich da aus eigener Erfahrung aber ebenso, wenn nicht sogar häufiger, bemängeln würde, ist die fehlende Initiative der Schüler. Häufig kommt auf die Frage des Lehrers "Wer hat das nicht verstanden?" keine Reaktion. Natürlich sollte man als Lehrer dann nochmal gezielter nachfragen und gerade in den unteren Klassen tiefer nachbohren, wenn aber mehrmals keine Reaktion kommt, liegt es mMn nicht mehr in der Verantwortung des Lehrers. Man kann nur Angebote machen, diese müssen aber auch angenommen werden. Auch ein klärendes Gespräch zwischen Klasse, Fachlehrer und Klassen- bzw. Vertrauenslehrer kann oft viel bewirken, es muss aber eben gemacht werden.
sulo Auf diesen Beitrag antworten »

Übrigens: Für die finanziell benachteiligten Schüler gibt es Lerngutscheine. Ich habe mehrere Schüler, die auf diese Weise Nachhilfeunterricht erhalten können.


PS: Ich verschiebe den Thread mal ins OT.

edit: Dort können allerdings nur Mitglieder posten.
Das dürfte für den interessierten Threadersteller jedoch kein Problem sein. smile
Dopap Auf diesen Beitrag antworten »

sehr gute Beiträge!
Ich war auch mal ( lang ist's her ) als Lehrer tätig. Hatte meinen guten Willen und Idealismus mitgebracht...
Der Schulalltag ist aber was ganz anderes. Da schmilzt der gute Wille so rasch wie Butter in der Sonne.
Führt man z.B. in Stochastik einige Stunden mit "Spielen" durch, was bei den Schülern eigentlich gut ankommt Augenzwinkern , dann sitzen einem die Eltern im Nacken, w.g. wird hier nichts gelernt?
oder der Chef wegen des Lehrplanes.

Hab' dann auch aufgehört...

Nur bei einem Thema sollte der Lehrer sehr streng sein und sich auch nicht scheuen kräftig Hausaufgaben zu vergeben: die Algebra

95% meiner Schüler haben darin Nachholbedarf.
MI Auf diesen Beitrag antworten »

Das Problem fängt doch schon damit an, dass gar nicht wohldefiniert ist, was denn die Ziele des Mathematikunterrichtes sind.

Soll es darum gehen Rechnen zu lernen?
Soll man Mathematik lernen?
Soll man Textaufgaben lösen lernen?
Soll man Aufgaben, wie sie später im Beruf vorkommen können, lösen lernen?
Soll Wissen über Formeln angehäuft werden?

Teile dieser Fragestellungen sind meiner Ansicht nach disjunkt - und doch lautet die Antwort immer: "ja, alles davon".
Jede Gruppe hat ihre eigenen Vorstellungen davon, was denn die Ziele sein sollten. Wer in seinem Beruf mehr mit Wissen zu tun hat, der will auch, dass im Mathematikunterricht mehr Wissen vermittelt wird. Ein Mathematiker hätte gerne mehr Mathematik, die Hochschulen und die Industrie möchten, dass die Leute rechnen können und die Kultusministerien kommen in ihrer Logik zum Schluss, dass Textaufgaben doch eine feine Sache seien.

Und dann geht das Problem doch weiter:
Jemand, der nie Mathematik studiert hat, weiß nicht, was Mathematik ist. Das kann man auf gewissem Level von jedem Fach sagen, aber bei der Mathematik ist das extrem. Ein Nichtmathematiker kann sich keine Vorstellung von dem Grad der Abstraktion machen, den Mathematik schafft und kann sich daher keine Vorstellung davon machen, was ein Mathematiker macht.
John von Neumann hat mal zu einem Studenten gesagt: "Young man, in mathematics we don't understand things, we just get used to them". Und hier ist der fundamentale Unterschied zwischen Mathematik und Nichtmathematik: Die Abstraktion in der Mathematik braucht Gewöhnung. Und Gewöhnung dauert. Jeder Mathematikstudent macht die Erfahrung, dass man Stunden über einer Seite in einem Buch sitzen kann - und es wird eigentlich sogar nur noch schlimmer, je weiter man kommt: Man kann sogar Stunden über einem SATZ auf einer Seite verbringen, der sogar noch erklärt wird.

Was ich damit sagen will:
- Mathematik erfordert Eigeninitiative. Und wenn die nicht da ist, kann der Unterricht noch so gut sein, es reicht nicht. Man muss sich an die Dinge gewöhnen, und das kann der Lehrer nicht übernehmen. Er kann versuchen, die Dinge verschieden aufzubereiten, um die Schwelle der Abstraktion abzurunden und den Aufstieg zu erleichtern - und das kann er auf verschiedenste Weisen tun: Verschiedene Erklärungen, Spiele (wie Dopap sie versuchte), etc. In jedem Fall erfordert das Zeit. Viel Zeit. Da Rechnen einen großen Teil des Schulunterrichts einnimmt, auch dazu: Rechnen ist Handwerk. Also muss man es üben. Und üben. Und nochmals üben. Das ist wie in anderen Fächern auch: Es ist schön, wenn man die hochtrabensten englischen Vokabeln kann - aber wenn der Wortschatz auf der anderen Seite nicht dazu ausreicht, sich vorzustellen bringt einem das genau gar nichts. So auch in der Mathematik: Wenn ich nicht bruchrechnen kann, dann brauche ich mit dem Rest erst gar nicht anzufangen. Und so weiter und so fort. Also: Üben, üben, üben - und im Übrigen ist damit das Rechnen gemeint, nicht das Lösen von Textaufgaben. Das ist auch, was Dopap meint.
- Die Stärke der Mathematik liegt nicht im Konkreten, sondern die Stärke liegt in der Abstraktion. Eine konkrete Aufgabenstellung, wie sie z.B. eine Textaufgabe stellt, ist völlig irrelevant. Die Textaufgabe ist somit in meinen Augen der Prototyp dafür, was die reine (!) Mathematik NICHT ist. Sie ist der Prototyp dafür, warum wir Mathematik betreiben, insofern geht sie mehr in Richtung angwandter Mathematik (sehe den Namen: Angewandt. Ich kann aber erst anwenden, wenn ich kann). Die Textaufgaben zeigen, wie uns die Abstraktion helfen kann zu erkennen, warum verschiedene Aufgaben aus der konkreten Welt ähnlich gelagert sind - und sie sagt uns, wie wir sie auf dem abstrakten Level lösen. Die Textaufgabe kann auch helfen, an das Abstraktionslevel zu kommen. Aber am Ende, muss man sich an die rein abstrakten Entitäten gewöhnen. Und das ist die Herausforderung.

Und jetzt kommt der Mathematikunterricht und mit ihm die verschiedensten Anforderungen und Ideen, denn: Achtung Praxistest:

- Das mit der Abstraktion ist ja schön und gut. Aber wer braucht das schon? Dadurch, dass das schon andere Leute durchdacht haben, braucht man fast überall nur noch die Formeln. Es reicht, wenn man eben die Abstraktion NICHT verstanden hat, aber genug abstrahiert hat und auswendig gelernt hat, um die Methoden auf die konkreten Aufgaben anzuwenden, die man hat. Das Problem ist zwar dann, dass man, wenn wieder ein anderes Problem aufkommt, was im Grunde genauso gelagert ist, man dies nicht erkennen kann, weil man nie auf dem abstrakten Level war - aber für den Alltag ist das eben wenig relevant.
- Die Erkenntnis, was mit der Abstraktion gewonnen ist, ist ebenfalls schwierig. Wir leben in einer Welt, wo man auf der einen Seite immer mehr Wissen muss und immer mehr verschiedene Fähigkeiten haben muss und auf der anderen Seite alles Wissen ganz einfach nachschlagen kann. Da fragt man sich natürlich: WARUM soll ich Stunden/Tage, etc. darin investieren einen höheren Abstraktionsgrad zu erreichen, wenn ich in der gleichen Zeit fünf verschiedene Methoden auf Werkzeugkastenniveau lernen kann? Und die Frage rührt daher, dass man erst nach der Abstraktion sehen kann, warum sie sinnvoll ist - und das Genie einiger Mathematiker rührt daher, dass sie das erkannt haben BEVOR sie die Abstraktion durchgeführt haben.

Und meiner Meinung nach führt das alles deshalb dazu, dass wir tausend verschieden Vorgaben für den Unterricht haben, tausend verschiedene Ansprüche, tausend verschiedene Meinungen, was der Unterricht leisten soll und wie er dies machen kann und Millionen von unzufriedenen Schülern auf der ganzen Welt.

Gruß
MI
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