Verständnisfrage zum Auswahlaxiom

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schnudl Auf diesen Beitrag antworten »
Verständnisfrage zum Auswahlaxiom
Als nicht-Mathematiker bin ich über Umwege (hier nicht relevant) auf Maßtheorie gestoßen.
Bisher habe ich mich damit nicht beschäftigt, aber um nun als interessierter Laie wenigstens ein ganz klein wenig davon zu verstehen, habe ich mir diese Arbeit angesehen und bin von den Gedankengängen ziemlich gefesselt.

Ganz am Anfang (Satz 1.6) wird ein Beweis für die Inkonsistenz eines "naiv" definieren Maßbegriffs in gegeben. Dieser beginnt etwa so:


Zitat:

...
...
Wir betrachten die Quotientengruppe und ein Repräsentantensystem der Nebenklassen, von dem wir ohne Einschränkung annehmen können.

Für die Existenz von benötigen wir das Auswahlaxiom!

Wir erhalten die abzählbare disjunkte Vereinigung
...
...


Diese Beweisskizze kann ich eigentlich problemlos (denke ich halt ) nachvollziehen.

Dann wird aber darauf hingewiesen, dass der Beweis mit der Akzeptanz des Auswahlaxioms steht und fällt, was in weiterer Folge als Motivation für die Einführung eines strengeren Korsetts dient.

Nun habe ich nachgelesen, was das ist: es geht um die Existenz einer Funktion, die aus einer (i.A. unendlichen) Menge von Mengen R jedem Element ein Element aus der Menge zuordnet (quasi eine Auswahl pro Menge trifft).

Warum, und das ist die Frage, muss man dies als Axiom einfordern? Ich sehe nicht den Grund, der mir verbietet, rein gedanklich jeweils einen zufälligen Repräsentanten auszuwählen und den in eine Menge zu stecken. Abgesehen von der Unendlichkeit ist die Existenz dieser Auswahlmenge ja nicht denk-unmöglich.

Kann mir jemand erklären, wo hier der Knackpunkt liegt?
Clearly_wrong Auf diesen Beitrag antworten »

Hi,

dir ist wahrscheinlich nicht bewusst, dass man letztendlich alles in der Mathematik auf Axiomen aufbaut. Nichts ist einfach so da, weil es intuitiv ist, letztendlich lässt sich die komplette Mathematik auf Axiome wie dieses zurückführen. Es gibt zum Beispiel auch ein Axiom, dass besagt, dass es eine Menge ohne Elemente, also die leere Menge gibt. Weiter gibt es ein Axiom, dass besagt, dass es zu Mengen auch die Vereinigungsmenge gibt.

Diese mögen dir wahrscheinlich noch viel intuitiver vorkommen, als das Auswahlaxiom. Anders gesagt: Alles muss beweisbar sein, "intuitiv klar" ist kein Beweis und es ist auch nicht möglich, das Auswahlaxiom aus anderen Axiomen heraus zu beweisen, deswegen muss man es explizit fordern, wenn man es benutzen will.

Dass in dem von dir erwähnten Beweis explizit erwähnt wird, dass man hier das Auswahlaxiom braucht, liegt daran, dass lange Zeit sehr kontrovers diskutiert wurde, ob man das Auswahlaxiom annehmen solle oder nicht. Die Aussage des Axioms selbst mag sehr intuitiv sein, aber das liegt daran, dass wir mit unseren Köpfen nicht wirklich die Unendlichkeit greifen können. Sie ist zu abstrakt, als dass wir ihre volle Komplexität sehen können. Warum das Auswahlaxiom in wirklich nicht sehr intuitiv ist, sieht man an seinen Folgerungen. Man kann zum Beispiel aus dem Auswahlaxiom herleiten, dass sich die reellen Zahlen so mit einer Ordnung versehen lassen, dass jede nichtleere Teilmenge der reellen Zahlen ein kleinstes Element hat. Niemand kann so eine Ordnung explizit angeben, aber das Auswahlaxiom sagt einem, dass es sie geben muss.
Ein weiteres Beispiel ist das Banach-Tarski Paradoxon. Du hast vielleicht schonmal davon gehört, dass man mathematisch zeigen kann, dass es möglich ist, einen Apfel so in Teile zu schneiden, dass sich die Stücke danach zu zwei exakten Kopien des vorherigen Apfels zusammenfügen lassen.
Diese Aussage ist ziemlich unintuitiv und der Beweis beruht auf dem Auswahlaxiom.
schnudl Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:

dir ist wahrscheinlich nicht bewusst, dass man letztendlich alles in der Mathematik auf Axiomen aufbaut.

Das ist mir durchaus bewusst, und ich will auch gar nichts in Frag stellen. Ich wundere mich nur, wofür man Axiome benötigt. Der konkrete Prozess des "Auswählens" muss ja nicht explizit angegeben werden, es reicht ja, "irgendeine Auswahl" zu treffen. Und hier empfinde ich eine Situation, wo Mathematik sich mit sprachlichen Ausdrucksformen vermischt. Z.B. kann ich ja sagen :

Sei x Element A. Dann gilt für x diese oder jene Aussage.

Auch hier habe ich ja aus einer Menge ein x gewählt. Es gibt ja auch kein Axiom, welches dieses "entnehme aus einer Menge ein x-beliebiges Element und folgere für dieses x etwas" extra erst gestattet, selbst wenn die Menge überabzählbar ist - oder ?

Aber scheinbar braucht man das Auswahlaxiom, wenn es um unendliche Mengensysteme geht.


Frage: Was passiert, wenn man das Auswahlaxiom aufgibt? Bricht dann die gesamte Mathematik zusammen?



Frage: Was das Wohlordnungstheorem für die reellen Zahlen betrifft: kann man denn beweisen, dass es nicht möglich ist, eine explizite Ordnung zu finden, obwohl es eine solche unter der Voraussetzung des Auswahlaxioms geben muss, oder hat man bisher einfach nur keine gefunden?
IfindU Auf diesen Beitrag antworten »

Du könntest selbst etwas lesen. Auf Wikipedia (Link) findet man
Zitat:
Tatsächlich lässt sich zeigen, dass zumindest die Axiome der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre allein (inklusive des Auswahlaxioms) die explizite Konstruktion einer solchen Wohlordnung nicht zulassen.


Prinzipiell gilt: Wenn du deine Funktion nicht explizit definieren kannst, brauchst du das Auswahlaxiom um deren Existenz zu sichern.
Clearly_wrong Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Sei x Element A.

Dann gilt für x diese oder jene Aussage. Auch hier habe ich ja aus einer Menge ein x gewählt.


Der Grundsatz hier ist, dass man ein Element aus einer Menge auswählen kann, wenn die Menge nicht leer ist.

Dein Beispiel funktioniert also, weil nicht leer ist. Wenn du allerdings gleichzeitig unendlich viele Elemente aus unendlich vielen Mengen wählst, wählst du eigentlich auch nur ein einzelnes Element aus einer bestimmten Menge heraus, nämlich eine Auswahlfunktion aus der Menge der Auswahlfunktionen. Dass diese Menge der Auswahlfunktionen nicht leer ist, folgt aber nicht irgendwie daraus, dass du jeweils aus jeder einzelnen Menge ein Element auswählen kannst.

Das sagt gerade das Auswahlaxiom aus.

Nachtrag: Dass man einzelnes Element aus einer nichtleeren Menge auswählen kann, geht auch nicht wegen Intuition, sondern ist nach Definition so. Eine Menge ist nicht leer genau dann wenn die Aussage "Es existiert " wahr ist. Dieses kann man sich dann hernehmen.

Nachtrag 2: Man sollte sich auch klarmachen, dass das Auswahlaxiom nicht für jede unendliche Auswahl gebraucht wird. Ist zum Beispiel die Vereinigung aller Mengen, aus denen ausgewählt wird, noch abzählbar unendlich, so braucht man das Auswahlaxiom nicht. Überabzählbare Mengen sind nochmal einen Schritt weiter von unserer Intuition entfernt.

Nachtrag 3: Nein, es bricht nicht die ganze Mathematik zusammen, wenn man auf das Auswahlaxiom verzichtet. Es gibt einen ganzen Zweig der Mathematik, der sich damit beschäftigt. Die Konstruktive Mathematik verzichtet auf das Auswahlaxiom und noch ein paar andere Aussagen. Unter dem Stichwort solltest du einiges finden.

Ich persönlich fände Mathematik ohne Auswahlaxiom recht langweilig, weil die komplette Funktionalanalysis darauf aufbaut.
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