Meta Frage zur Mengenlehre

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schnudl Auf diesen Beitrag antworten »
Meta Frage zur Mengenlehre
Ich habe gerade einen Beweis des Wohlordnungssatzes "studiert" und dabei versucht, wirklich jeden Schritt nachzuvollziehen.

Dabei stelle ich aber fest, dass ich , im Gegensatz zu Themen der Analysis, in den Beweisen keine Grundidee sehe. Ich will damit sagen, dass ich nicht in der Lage gewesen wäre, aufgrund eigener Überlegungen einen formalen Beweis zu finden, indem ich mir zuerst eine Skizze im Kopf mache (wie könnte es gehen), und diese dann konkret ausarbeite.

Schon alleine bei einem Hilfssatz (siehe Bild) musste ich mir eine Art Skizze machen, um zu "verstehen", was da überhaupt gemeint war.

Ich verstehe nun nicht, wie man überhaupt darauf kommt, solche Aussagen beweisen zu wollen. Ich wäre in 1000 Jahren nicht auf die Idee gekommen, dass ich genau diesen Satz benötigen könnte, um schließlich etwas anderes (das Wohlordnungstheorem) zu beweisen.

Ich muss zugeben, dass mir das Verständnis dieser Beweiskette einen ganzen Tag kostete, und ich wahrscheinlich nicht mal in der Lage bin, diesen ohne hineinzuschauen wiederzugeben. Um ehrlich zu sein habe ich es nur "formal" verstanden, der aha-Effekt wo es klick macht, bleibt aus, da ich mir solche Mengengebilde nicht mehr vorstellen kann. Ist das nun mangelnde mathematische Begabung eines nicht-Mathematikers oder haben diese Gefühle und Schwierigkeiten auch echte Mathematiker?
Clearly_wrong Auf diesen Beitrag antworten »

Ich finde diesen Beweis auch nicht sonderlich intuitiv. Bei diesen Beweisen, wo zuerst irgendein Lemma gezeigt wird, um dann später einen größeren Satz damit zu beweisen, war es übrigens meist historisch genau anders herum. Man hat länger versucht, diesen Satz zu beweisen und kam dann darauf, dass ein Lemma in dieser Form nützlich sein könnte. Es ist auch mit ziemlicher Sicherheit so, dass das nicht der Originalbeweis dieser Aussage ist. Sowas wird oft über Jahrhunderte optimiert, bis man einen besonders eleganten oder kurzen Weg gefunden hat. Über das Endprodukt kann man sich dann nur noch wundern, aber da steckt ein langer Prozess hinter.
Das ist übrigens kein Erstsemesterstoff. Dass du dich damit ein wenig schwerer tust, ist zu erwarten.

Dieses Gefühl, dass man sich fragt, wie in aller Welt jemand auf den Beweis von Aussage xy kommen konnte, haben auch etablierte Mathematiker, das kannst du mir glauben, es verschiebt sich halt bloß ein wenig die Grenze.

Ich würde zum Verständnis des Wohlordnungstheorems einen anderen Beweis vorschlagen: Mit dem Lemma von Zorn, was man natürlich auch erst mal aus dem Auswahlaxiom heraus beweisen muss, lässt sich m.E. ein sehr intuitiver Beweis formulieren.

Die Idee ist dabei die folgende: Wir können jede Wohlordnung, die auf einer Teilmenge der Gesamtmenge definiert ist, ohne Probleme um ein einzelnes weiteres Element erweitern, indem wir einfach sagen, dass es größer als alle vorherigen sein soll. Wenn wir jetzt sagen, dass eine Wohlordnung "größer" als eine andere sein soll, wenn die größere die kleinere fortsetzt, sagt das gerade aus, dass wir jede Wohlordnung, die noch nicht auf der Gesamtmenge definiert ist, noch größer machen können. Das heißt aber gerade, dass eine Wohlordnung nur dann maximal ist, wenn sie auf der Gesamtmenge definiert ist.
Eine Anwendung des Zornschen Lemmas gibt uns aber ohne Probleme so eine maximale Wohlordnung.

Natürlich hat man hier die Schwierigkeit nur etwas verschoben, jetzt muss man erstmal das Lemma von Zorn beweisen, wenn ich mich richtig erinnere ist das aber etwas intuitiver.
schnudl Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Dieses Gefühl, dass man sich fragt, wie in aller Welt jemand auf den Beweis von Aussage xy kommen konnte, haben auch etablierte Mathematiker, das kannst du mir glauben, es verschiebt sich halt bloß ein wenig die Grenze.


ich dachte schon, ich wäre einfach zu dumm, und du würdest mir das jetzt sagen smile


Zitat:
Ich würde zum Verständnis des Wohlordnungstheorems einen anderen Beweis vorschlagen: Mit dem Lemma von Zorn, was man natürlich auch erst mal aus dem Auswahlaxiom heraus beweisen muss, lässt sich m.E. ein sehr intuitiver Beweis formulieren.


Hast du da einen Link, den du empfehlen kannst?
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

Cantor hielt die Tatsache, daß man jede Menge wohlordnen kann, für eine Denknotwendigkeit. Hier eine Plausibilitätsbetrachtung dazu.

Sei eine (ungeordnete) Menge.
Wir wählen ein Element der Menge und setzen es in unserer Liste ganz vorne hin. Dann wählen wir ein zweites Element und setzen es an die zweite Stelle, ein drittes an die dritte Stelle, ein viertes ...
Es könnte nun sein, daß bei diesem Verfahren alle Elemente der Menge aufgebraucht werden. Wenn nicht alle Elemente aufgebraucht werden, nehmen wir aus der Restmenge ein Element und setzen es hinter alle bisherigen Elemente, ein weiteres Element und setzen es dahinter, das nächste dahinter, ...
Es könnte nun sein, daß nach diesem zweiten Durchgang alle Elemente der Menge aufgebraucht sind. Wenn das nicht der Fall ist, nehmen wir aus der Restmenge ein Element und setzen es hinter alle bisherigen Elemente, ein weiteres Element und setzen es dahinter, das nächste dahinter, ...
Es könnte nun sein, daß bei diesem dritten Durchgang ...
Es könnte nun sein, daß bei diesem vierten Durchgang ...
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Es könnte nun sein, daß nach all diesen Durchgängen alle Elemente der Menge aufgebraucht sind. Wenn das nicht der Fall ist, nehmen wir aus der Restmenge ein Element und setzen es hinter alle bisherigen, ...

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Es könnte nun sein, daß ...

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Es könnte nun sein, daß ...

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schnudl Auf diesen Beitrag antworten »

wie soll ich mir das bei vorstellen?

Zitat:

a)
Wir wählen ein Element der Menge und setzen es in unserer Liste ganz vorne hin. Dann wählen wir ein zweites Element und setzen es an die zweite Stelle, ein drittes an die dritte Stelle, ein viertes ...

b)Es könnte nun sein, dass bei diesem Verfahren alle Elemente der Menge aufgebraucht werden. Wenn nicht alle Elemente aufgebraucht werden, ...


Da ich mit a) ja nie fertig werde, komme ich nie zur Stelle b), wo ich prüfe, ob alle Elemente aufgebraucht sind. Kann ich denn sagen, ich brauche alle Elemente in auf diese Weise auf? Die Menge ist ja nicht abzählbar.

Ich könnte z.B bei a) zunächst alle ganzen Zahlen nehmen. Die sind abzählbar und damit werden diese aufgebraucht.

Dann mache ich weiter bei allen übrigen Elementen, die Vielfache von 1/2 sind.
Auch diese kann ich aufbrauchen.

Das kann ich nun weitermachen...

es bleiben aber noch alle irrationalen Zahlen übrig. Wie man die dann ordnen könnte weiß ich nicht, aber

ist es so gemeint?
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

So ungefähr geht das. Du darfst nicht erwarten, daß du das konstruktiv hinschreiben kannst, schließlich sind die reellen Zahlen überabzählbar. Immerhin kann man den Anfang hinschreiben. Tun wir's nur mal für die positiven reellen Zahlen:



Jetzt haben wir alle rationalen Zahlen wohlgeordnet. Jetzt nehmen wir eine irrationale Zahl, zum Beispiel , und setzen sie hinter die bisherigen Zahlen. Dann die nächste irrationale Zahl, zum Beispiel , dann wieder eine und so weiter:



Ich habe das Ganze ja auch nicht Beweis genannt, sondern Plausibilitätsbetrachtung. Bisher war das Anordnungsverfahren zumindet noch konstruktiv, jetzt aber ist die Wahl der irrationalen Zahlen ziemlich planlos. Aber warum sollte man in Gedanken nicht immer so weitermachen? Und wenn uns jemand ärgern will und eine irrationale Zahl nennt, die wir noch nicht einsortiert haben, dann nehmen wir gerade die und setzen sie hinter alle bisherigen Zahlen.
 
 
Clearly_wrong Auf diesen Beitrag antworten »

Ich denke nicht, dass man mit dieser Methode jemals über den abzählbaren Horizont hinauskommt.

Will man etwa die erste überabzählbare Ordinalzahl ordnen und beginnt ganz von unten immer weiter, so wird man niemals ans Ende gelangen. Jeder der "Es könnte sein, dass..."-Schritte überbrückt nur abzählbar viele Zahlen, denn schließlich ist jede der Zahlen noch abzählbar. Selbst ein Potenzturm mit abzählbar vielen ist noch abzählbar, auch wenn man mit der Zahl, die dort herauskommt, weitermacht und beginnt, Potenztürme zu bilden, bleibt das alles abzählbar. Natürlich kann ich nicht zeigen, dass dein Argument falsch ist, da es sich ja nicht um einen Beweis handelt, aber wirklich überzeugt bin ich davon nicht.


Zitat:
Original von schnudl
Hast du da einen Link, den du empfehlen kannst?


Hab jetzt auf Anhieb nichts gefunden, deswegen schreib ich dir den Beweis selbst kurz auf:

Sei eine beliebige Menge. Sei die Menge aller Paare , sodass und ist eine Wohlordnung auf .

Wir definieren auf eine Ordnung durch genau dann, wenn und die Ordnung eingeschränkt auf genau die Ordnung ist (formal bedeutet das ) und wenn für alle . Das bedeutet gerade, dass das größere Paar die Ordnung auf dem kleineren Paar fortsetzt und alle Elemente der größeren Menge größer sind als alle der kleineren Menge.
Die Ordnung ist eine Partialordnung auf .

Außerdem hat jede Kette eine obere Schranke: Sei für eine passende Indexmenge . Setze . Wir können eine Ordnung auf definieren: Für gibt es mit . Da total geordnet ist, gilt oder umgekehrt, wir nehmen hier an, dass tatsächlich gilt, der andere Fall ist analog. Dann gilt aber , also und wir können daher setzen genau dann, wenn .

Es handelt sich dabei um eine Wohlordnung auf . Das einzige, worum man sich dabei wirklich Gedanken machen muss, ist die Wohlordnungseigenschaft, aber wenn du Probleme hast, die anderen Ordnungsaxiome zu verifizieren, so kannst du natürlich gerne nachfragen. Sei dazu eine nichtleere Teilmenge. Wähle und , sodass . Dann hat ein kleinstes Element . Es lässt sich leicht zeigen, dass dann ein kleinstes Element von sein muss.
Dann ist aber eine obere Schranke von .

Gemäß Lemma von Zorn gibt es also ein Maximales Element in . Angenommen . Dann gibt es . Wenn wir jetzt aber betrachten und darauf eine Ordnung definieren, die gleich der Ordnung von ist mit Ausnahme dessen, dass oberhalb von allen anderen Elementen liegen soll, so setzt dies die Ordnung auf fort. Das ist aber ein Widerspruch zur Maximalität, also muss schon gelten und ist eine Wohlordnung auf .

Das sieht jetzt vielleicht komplizierter aus, als es ist. Die Idee ist eigentlich genau jene, die von Leopold vorgeschlagen wurde, nur dass einem das Lemma von Zorn erlaubt, den Schritt ins Überabzählbare formal auch wirklich zu gehen.

Ich habe einige Lücken im Beweis gelassen. Wenn du dazu fragen hast, stell sie gerne.
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von Clearly_wrong
Ich denke nicht, dass man mit dieser Methode jemals über den abzählbaren Horizont hinauskommt.

Will man etwa die erste überabzählbare Ordinalzahl ordnen und beginnt ganz von unten immer weiter, so wird man niemals ans Ende gelangen. Jeder der "Es könnte sein, dass..."-Schritte überbrückt nur abzählbar viele Zahlen, denn schließlich ist jede der Zahlen noch abzählbar. Selbst ein Potenzturm mit abzählbar vielen ist noch abzählbar, auch wenn man mit der Zahl, die dort herauskommt, weitermacht und beginnt, Potenztürme zu bilden, bleibt das alles abzählbar. Natürlich kann ich nicht zeigen, dass dein Argument falsch ist, da es sich ja nicht um einen Beweis handelt, aber wirklich überzeugt bin ich davon nicht.


Ist schon klar. Da, wo es spannend wird, sage ich einfach: und so weiter ... Augenzwinkern
Jetzt ist mir auch eingefallen, wo ich das her hatte, nämlich aus dem alten kleinen Göschen-Bändchen 999 / 999a Kamke, Mengenlehre, Walter de Gruyter, Berlin-New York 1971. Ich zitiere dort auf Seite 161:

"Cantor hat die Möglichkeit, jede Menge wohlzuordnen, als eine Denknotwendigkeit angesehen. Man kann dazu etwa folgende Überlegung anstellen: Ist eine Menge gegeben, so greife man ein Element heraus und setze es an erste Stelle. Nun wähle man in ein willkürliches Element und setze es an zweite Stelle. Dann wähle man in in beliebiger Weise ein Element und setze es an die nächste Stelle. So fahre man fort. Würde das Verfahren, bevor die Menge ganz aufgebraucht ist, auf irgendeine Weise zu Ende kommen, so hätte man noch eine nichtleere Untermenge von übrig und könnte aus dieser wieder ein Element herausgreifen und hinter alle schon ausgewählten setzen. Das Verfahren ginge also gegen unsere Annahme doch weiter und kann nur dadurch zu Ende kommen, daß die Menge ganz aufgebraucht wird.
Diese Überlegung macht natürlich die Möglichkeit der Wohlordnung jeder Menge höchstens plausibel ..."
schnudl Auf diesen Beitrag antworten »

danke. schau ich mir an wenn ich das Lemma von Zorn verstanden habe.
smile
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Fundamentale Theoreme wie der Wohlordnungssatz sind sicher nicht leicht zu verstehen, da können wir alle nur die Genialität von Georg Cantor bewundern. In der "Einführung in die Mengenlehre" von Oliver Deiser (Deissen ?? bin in Urlaub und habe das Buch gerade nicht zur Verfügung) konnte ich einigermaßen nachvollziehen, wie man das Theorem verstehen kann. Übrigens halte ich das Auswahlaxiom für intuitiv verständlicher als das Lemma von Zorn, da es "nur" besagt, dass jedes cartesische Produkt nichtleerer Mengen nicht leer ist.
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von Elvis
Fundamentale Theoreme wie der Wohlordnungssatz sind sicher nicht leicht zu verstehen


... und bei so umfangreichen Mengen wie letztlich auch nicht konstruktiv angebbar. Überhaupt ist die Menge der reellen Zahlen ein Monstrum. Man geht zwar als Mathematiker täglich mit ihr um, aber letztlich bewegt man sich in diesem riesigen Garten der Zahlen stets irgendwo im Eingangsbereich herum, wo die Wege noch hübsch angelegt und die Beete noch gepflegt sind: bei den ganzen Zahlen, den rationalen Zahlen, den algebraischen Zahlen (alles abzählbare Mengen) und bei ein paar konkreten transzendenten Zahlen (eine überabzählbare Menge) wie und . Auch wird man immer mit weiteren einzelnen transzendenten Zahlen zu tun haben, wenn man Funktionswerte berechnet oder in Sätzen bestimmte Konstanten ermittelt. Die Menge der transzendenten Zahlen als ganze, würde ich aber frech behaupten, hat noch nie jemand erschaut. Dort im Garten, wo die Wege sich auf einmal aufteilen, in alle Richtungen über- und untereinander durchgehen, wildes Gewächs darüber wuchert und Dornenhecken, vermodertes und glitschiges Blattwerk und undurchdringliches Geäst das Weiterkommen unmöglich machen, ist noch keiner gewesen. Und wenn man sich mit der Machete wieder ein Stück Weges freigehauen hat, ist man fünf Meter weiter, nur um vor einem trüben Gewässer zu stehen, dessen Tiefe man nicht ermessen kann, und wo man nicht weiß, ob die aufsteigenden Bläschen Sauerstoff oder ein giftiges Gas enthalten.
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