Kontinuumshypothese (CH)

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Pippen Auf diesen Beitrag antworten »
Kontinuumshypothese (CH)
Die sog. Kontinuumshypothese ist ja unabhängig von ZFC, bewiesen von Goedel und Cohen. Damit wären ZFC + CH genauso wie ZFC + ~CH konsistent (die Konsistenz von ZFC ist dabei vorausgesetzt). Aber feststeht andererseits, dass CH oder ~CH falsch ist. Das heißt für mich, dass entweder ZFC + CH oder ZFC + ~CH doch inkonsistent sein muss, weil darin ein Axiom falsch und damit Beliebiges - auch Widersprüche - folgerbar wäre. Und vor allem hätte das betreffende Axiomensystem kein Modell und das ist auf PL1 Niveau doch gleichbedeutend mit Inkonsistenz, nicht?

Kann das jmd. erhellen?
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Das Parallelenaxiom ist in der euklidischen Geometrie ohne Parallelenaxiom nicht entscheidbar, d.h. es ist unabhängig von der euklidischen Geometrie ohne Parallelenaxiom. Man kann es hinzunehmen und erhält die euklidische Geometrie. Man kann seine Negation hinzunehmen und erhält die nichteuklidischen (elliptische und hyperbolische) Geometrien. Das Parallelenaxiom ist in einer schwachen Geometrie nicht wahr und nicht falsch, es ist nicht vorhanden. Für die angesprochenen Geometrien gibt es Modelle, also sind sie widerspruchsfrei.
Mit ZFC und CH verhält es sich m. E. genauso, d.h. in ZFC ist CH nicht entscheidbar, also unabhängig von ZFC. ZFC ist nicht stark genug um alle wahren Aussagen über die reellen Zahlen zu beweisen. In einer Theorie der reellen Zahlen muss CH entweder wahr oder falsch sein.
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

@ Elvis

Warum machst du es hier auf einmal anders, als du es zuvor beim Parallelenaxiom erklärt hast? Du hast von einer schwachen Geometrie gesprochen, die durch das Parallelenaxiom erweitert werden kann, ebenso wie seine Negation denkbar ist, in einer dann anderen Geometrie. Bei den reellen Zahlen scheinst du aber auf einmal einen platonischen Standpunkt einzunehmen. Du nennst ein Axiomensystem nicht stark genug, um alle wahren (sic!) Aussagen über die reellen Zahlen beweisen zu können. Wäre es nicht konsequent, auch hier von "schwachen" reellen Zahlen zu sprechen, die man mit CH erweitern kann, ebenso wie man es lassen kann und annehmen darf, daß CH nicht gilt. Bis zu einem gewissen Grad, solange es nur um "schwache" reellen Zahlen geht, also die für den Hausgebrauch der ein- oder mehrdimensionalen Analysis, sagen beide Theorien dasselbe. Und in den höheren geistigen Zonen geht es eben in unterschiedlichen Richtungen weiter.
Mir erscheint das irgendwie inkonsequent, beim Parallelenaxiom einen konstruktiven, bei CH aber einen platonischen Standpunkt einzunehmen.
Luftikus Auf diesen Beitrag antworten »
RE: Kontinuumshypothese (CH)
Zitat:
Original von Pippen
Damit wären ZFC + CH genauso wie ZFC + ~CH konsistent (die Konsistenz von ZFC ist dabei vorausgesetzt). Aber feststeht andererseits, dass CH oder ~CH falsch ist. Das heißt für mich, dass entweder ZFC + CH oder ZFC + ~CH doch inkonsistent sein muss


Axiome sind per definitionem immer "wahr".
Ein Axiomensystem und seine Folgerungen dürfen allerdings nicht zu Aussagen A && ~A führen, das wäre inkonsistent. Aber entweder A && B oder ~A && B sind erstmal nicht widersprüchlich.
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Ich bin mir nicht sicher ob Pippen nicht recht hat, dass CH entweder. wahr oder falsch ist. Kann man ausschließen, dass eines Tages das eine oder andere bewiesen wird?
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

Dann wäre CH doch nicht unabhängig von den andern Axiomen.
 
 
Luftikus Auf diesen Beitrag antworten »

Ich würde es so formulieren:
Kommt es zu einem hergeleiteten Widerspruch, dann können nicht alle Axiome wahr sein.
Man muss das Axiomensystem modifizieren. Dies ist allerdings nicht kategorisch vorgegeben. man muss sich dann entscheiden.
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Ich verstehe es nicht. traurig
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

Nach meinen alten Unterlagen hat Gödel 1938 gezeigt, daß axiomatisch möglich ist, und Cohen 1963, daß axiomatisch möglich ist. Dann würde doch für die "schwachen" reellen Zahlen dieselbe Rolle spielen wie das Parallelenaxiom für die "schwache" Geometrie.
Ich halte mich jetzt hier aber besser heraus, ich verstehe zu wenig von dieser Sache.
zweiundvierzig Auf diesen Beitrag antworten »

Gödel hat gezeigt, dass ZFC + (G)CH relativ zu ZF konsistent ist. Jedes Modell von ZF enthält ein Unteruniversum L (die sog. konstruktiblen Mengen), das die Axiome ZFC + GCH (eingeschränkt auf L) erfüllt.

Cohen hat 1963 gezeigt, dass man ausgehend von einem Modell von ZF ein Modell von ZFC+~CH erhält, indem man genügend viele neue Elemente zu hinzufügt. Dies begründete die Technik des Forcings und brachte Cohen drei Jahre später die Fields-Medaille.
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Verstehe ich das richtig, dass CH oder nicht CH in ZFC nicht entscheidbar ist? Ist weiter richtig, dass CH und nicht CH wahr sein kann? Wenn ich eine Elvismenge E würde finden können, für die gültig wäre (ziemlich viele Konjunktive), hätte ich CH bewiesen, wäre CH also wahr. Weil ich unbegründet an CH glaube, suche ich nicht nach Elvismengen. Cohen hat doch wohl keine gefunden, oder doch. Kann mir jemand sagen, welche Bedeutung seine Arbeit hat - ich habe keine Zeit noch mehr zu lesen als ich ohnehin schon lese.
zweiundvierzig Auf diesen Beitrag antworten »

Es gilt und .

Zitat:
Original von Elvis
Ist weiter richtig, dass CH und nicht CH wahr sein kann?

Es gibt Modelle von ZFC, die CH beweisen und es gibt Modelle von ZFC, die CH refutieren.

Cohen hat ein Gegenmodell für die Kontinuumsyhpothese gegeben. Die zugrundeligende Technik des Forcings ist heute weit verbreitet in der Mengenlehre.

Man kann Cohen's Beweismethode in z.B. kategorientheoretischen Termen verstehen, siehe Moerdijk--Mac Lane "Sheaves in Geometry and Logic", Kap. VI.2. Hierbei konstruiert man einen bestimmten Topos (-Garben auf einer partiell geordneten Mengen von Forcing-Bedingungen), in dem gilt: . Hierbei bedeutet , dass es einen Monomorphismus gibt, aber keinen Epimorphismus .

Der Hut bezeichnet die Komposition der Abbildungen
, wobei die konstante Prägarbe mit Wert ist und die Vergarbung von .

Die Kategorie ist das Forcing-Poset und ist der Garbentopos .
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Im folgenden bedeute jeweils einen nichtsurjektiven Monomorphismus und stets eine Bijektion.

Unter verstehe ich . Falls , hätte Cohen dann bewiesen ? Hat er bewiesen, dass die verallgemeinerte Kontinuumshypothese falsch ist ?

Oder ist die Bedeutung ganz anders ?
zweiundvierzig Auf diesen Beitrag antworten »

Cohen hat bewiesen, dass ZFC + ~CH (und damit auch ZFC+~GCH) konsistent ist.

Das Objekt ist das (bis auf Isomorphie eindeutige) natural numbers object (NNO) des Topos . Das Objekt ist das Potenzmengenobjekt von . Die gesuchte Kardinalzahl ist das Bild von in unter der konstanten Einbettung gefolgt von anschließender Vergarbung.
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

“Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum-
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel-
Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.”
zweiundvierzig Auf diesen Beitrag antworten »

Die Gegenmodelle zeigen, dass es sowohl Modelle von ZFC gibt, die CH als auch ~CH erfüllen. Aus diesem Grund kann weder , noch gelten.

Ein griffiges Beispiel für Unabhängigkeit ist das Parallelenaxiom. Manche Modelle der Geometrie refutieren, manche validieren das Parallelenaxiom.
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Sagt das etwas über ZFC+DedekindPeano(N)+Quotientenkoerper(Q)+CauchyfolgenModuloNullfolgen(R), wobei N, Q, R bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt ist?
Vermutlich nicht, oder doch?
Pippen Auf diesen Beitrag antworten »
RE: Kontinuumshypothese (CH)
Aber eines der beiden - CH oder ~CH - muss falsch sein, oder? Und folgt daraus nicht, dass eins von beiden Axiomensystemen - ZFC+CH oder ZFC+~CH - inkonsistent ist, weil's kein Modell hätte?

Genauso könnte ich fragen: Das Parallelenaxiom P ist wahr (P) oder falsch (~P). Damit müsste nach meinem Verständnis eine der beiden Geometrien - euklidische oder nicht-euklidische - falsch und damit inkonsistent sein, nicht wahr?
zweiundvierzig Auf diesen Beitrag antworten »

Ein Modell kann nicht falsch sein -- eine Theorie kann inkonsistent sein. Inkonsistente Theorien haben keine Modelle. Konsistente Theorien haben Modelle (über FO) (Gödelscher Vollständigkeitssatz/Henkin-Konstruktion).

Ein erfüllbarer Satz muss nicht universell erfüllbar (d.h. in jedem Modell erfüllt) sein. Ein nicht universell erfüllbarer Satz muss nicht unerfüllbar sein.

Sei . Dann gilt für und , dass und .

Zitat:
Original von Elvis
Sagt das etwas über ZFC+DedekindPeano(N)+Quotientenkoerper(Q)+CauchyfolgenModuloNullfolgen(R), wobei N, Q, R bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt ist?
Vermutlich nicht, oder doch?


Googlen nach "consequences of the continuum hypothesis" könnte von Interesse sein.
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

Leider verstehe ich gar nichts von Modelltheorie (und kenne daher schon eine schöne Aufgabe für meinen Ruhestand). Aber wenn ich zweiundvierzig richtig verstanden habe, bestätigt er meine Interpretation, daß, ich sage es in meinen naiven Worten und greife eine Formulierung von Elvis auf, die Kontinuumshypothese für die "schwachen" reellen Zahlen dieselbe Rolle spielt wie das Parallelenaxiom für die "schwache" Geometrie. @ zweiundvierzig: Stimmt das oder habe ich dich überinterpretiert?
Dann wäre die Vorstellung, daß die "schwachen" reellen Zahlen, wie man sie zum Beispiel aus den rationalen Zahlen mit einem klassischen Verfahren konstruieren kann, etwas Fertiges sind, in dem man Teilmengen danach untersuchen kann, ob sie zwar nicht abzählbar sind, aber auch noch nicht die Mächtigkeit des Kontinuums haben, falsch. Man würde diese Frage niemals innerhalb der "schwachen" reellen Zahlen beantworten können, weil CH unabhängig von den andern Axiomen ist.
Sind Cohens Methoden in irgendeiner Weise konstruktiv? Das heißt: Kann man eine Teilmenge der reellen Zahlen angeben, so daß man von jeder reellen Zahl entscheiden kann, ob sie der Teilmenge angehört oder nicht, und die Mächtigkeit dieser Teilmenge zwischen abzählbar und Kontinuum liegt? Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Ich habe den Verdacht, daß noch nie jemand eine solche Menge gesehen hat und auch niemals jemand eine sehen wird. Wobei ich mir bewußt bin, daß "sehen" ein sehr unbestimmter Begriff ist und natürlich auch vom individuellen Abstraktionsvermögen des Mathematikers abhängt.
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Mengen aus Zahlen und deren algebraische, analytische und topologische Strukturen sind für mich über jeden Zweifel erhaben. Es scheint mir eher so zu sein, dass die gewaltige Stärke der Mengenlehre und das daraus entstandene Mengenuniversum zu groß ist um durch die Logik und deren Axiomensysteme ausgeschöpft werden zu können. Das Thema ist wegen seiner "unendlichen Weiten" wahrhaft "faszinierend", wie Mr. Spock schon sagte. Zu lesen gibt es reichlich : https://projecteuclid.org/euclid.rmjm/1181070010 . Jetzt müssen wir nur noch verstehen, was wir wissen und nicht wissen, jedenfalls danke ich Pippen, der mal wieder auf das Thema aufmerksam gemacht hat.
Huggy Auf diesen Beitrag antworten »

Für Leute wie mich, die sich nie mit axiomatischer Mengenlehre beschäftigt haben, gibt Oliver Dieser einen guten Überblick:

http://www.aleph1.info/?call=Puc&permalink=mengenlehre1_1_11
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Ja, genau das empfehle ich auch immer wieder gerne. Als Einführung in die Mengenlehre finde ich das ganz hervorragend. Es genügt aber nicht, damit ich verstehe, was hier wirklich passiert.
willyengland Auf diesen Beitrag antworten »

Jedes Kind mit seiner natürlichen Intuition wird sagen oder .
Ich neige auch zu dieser Ansicht.
Alles andere ist für mich als Laie irgendwie "falsch".

Ich verstehe die Argumentation mit der Abzählbarkeit, aber auch hier ist doch irgendwie ein Sprung drin: Bei gleichen Grenzen ist jede endliche Teilmenge von Q größer als jede endliche Teilmenge von N, egal, wie groß man die Grenzen wählt, aber wenn man dann zu Unendlich geht, sind sie plötzlich gleichgroß.

Ok, lassen wir das, jeder weiß wohl, was ich meine.

Aber mal angenommen, man würde setzen .
Würde das irgendwo ein schweres Problem erzeugen, das auch ein Laie als solches akzeptieren würde?
Leopold Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von willyengland
Aber mal angenommen, man würde setzen .


Das ist ja auch so, wenn man die Obermengenrelation nimmt:

willyengland Auf diesen Beitrag antworten »

Ich dachte, die werden alle als gleichgroß angenommen, nur R ist größer?
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

heißt in der Mengenlehre, dass es eine injektive Abbildung von nach gibt aber keine injektive Abbildung von nach .
Mir ist kein Kind mit natürlicher Intuition bekannt, das aufgrund dieser Definition eine Aussage über ganzrationale und rationale Zahlen machen kann.
Weil man Bijektionen von nach und von nach angeben kann, ist einfach nur falsch, und falsche Aussagen sind in der Mathematik nicht wahr.
laila49 Auf diesen Beitrag antworten »

mir ist von alledem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.
Je länger ich diese hoch interessanten Beiträge studiere, wächst mir die Erkenntnis zweier Lemmata.

1. Die Mächtigkeit meiner Hirnzellen ist relativ klein.

2. Sie ist mit der Zeit streng monoton fallend.

schade, dass mir vermutlich zu viele Grundlagen fehlen, um diese Diskussion zu verstehen.

als Trost bleibt mir nur Lemma 3:

Die Mächtigkeit meiner Hirnzellen ist echt größer als die der Nullmenge .
willyengland Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von Elvis
heißt in der Mengenlehre, dass es eine injektive Abbildung von nach gibt aber keine injektive Abbildung von nach .

Das meine ich ja gerade, dass das eben mit natürlicher Intuition nicht übereinstimmt.
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von laila49
mir ist von alledem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.


So geht es jedermann und jederfrau, außer Träger*innen der Fields-Medaille. Big Laugh

Zitat:
Original von willyengland
Das meine ich ja gerade, dass das eben mit natürlicher Intuition nicht übereinstimmt.


Mathematik ist unnatürlich, denn Mathematik ist eine Kunstform von Mathematiker*innen. Prost
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Zum Schluss seiner Ausführungen, auf die ich gestern verwiesen habe, sagt Cohen, dass die Modelle von Gödel und Cohen zeigen, dass CH und nichtCH von ZFC unabhängig sind, die Mengenlehre kann also keine Entscheidung treffen.
Cohen sagt dann auch, dass genau eine der beiden Alternativen wahr ist (was Pippen und Elvis oben übereinstimmend festgestellt haben).
Gödel (und Elvis Augenzwinkern ) glauben an CH, Cohen glaubt an nichtCH. Also können wir uns beruhigt zurücklehnen und abwarten, eines Tages wird auch diese Frage beantwortet werden, wie jede andere Frage auch, wenn die Menschheit nicht ausstirbt.
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