Inzidenzwert-(Schwankungen) verstehen

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wattwurm Auf diesen Beitrag antworten »
Inzidenzwert-(Schwankungen) verstehen
Hallo zusammen,

ich habe eine mathematisch-statistische Frage. Vorweg: Ich bin totaler Mathe-Noob (Mathematisch Durchschnittsbürgerwissen).

Meine Frage bezieht sich auf den Inzidenzwert (IzW), der uns täglich bundes- und landesweit präsentiert wird. Wenn ich es richtig verstanden habe, zeigt der IzW die Anzahl der Infizierten pro 100.000 Einwohner.

Nun hörte ich von Kritik an diesem Wert, wortlaut:
1) "Je mehr wir testen, desto mehr müssen wir aufpassen, dass uns die Infiziertenzahlen / Inzidenzwwerte nicht durch die Decke knallen" (Regierungsmitglied)
2) In einem Podcast sagte einer der renommierten Epidemologen: "Naja, es wird ja weniger gestestet, auch das führt dazu dass der IzW sinkt"

Das verstehe ich nicht. Der IzW ist doch ein relativer Wert. Der prozentuale Wert kann doch nicht in Abhängigkeit von der Größe der Basis schwanken. Oder dominieren hier nicht-mathematischen Faktoren? -> Hohe Inzidenzen -> Mehr Leute mit Angst -> Mehr Menschen mit Symptomen lassen sich testen?

Angenommen, diese "nicht-mathematischen" Gründe dominieren nicht: Ist es richtig, dass der IzW gleich ist - egal ob ich 20.000 oder 400.000 Menschen teste? Der (prozentuale) Anteil der Infizierten muss doch gleich sein.

Denke ich falsch?
IfindU Auf diesen Beitrag antworten »
RE: Inzidenzwert-(Schwankungen) verstehen
Der Inzidenzwert sagt nicht wie viele infiziert sind, sondern wie viele Infektion erkannt wurden. Und zwar absolut und nicht relativ zu durchgeführten Tests. Es ist egal, ob wir 1 mal Testen und eine Infektion erkennen oder 100.000 testen und nur eine Infektion erkennen. Inzidenz ist bei beiden gleich. Man erkennt aber fast zwangsläufig weniger, wenn man weniger testet:

Sagen wir alle in Deutschland sind infiziert, gleichzeitig.
Wenn wir keinen Test durchführen, haben wir 0 Positivresultate und eine Inzidenz von 0. Wenn wir alle testen haben wir eine Inzidenz von 100.000. Wenn wir einen Teil testen, bekommen wir eine Zahl zwischen 0 und 100.000 raus, je nachdem wie intensiv wird testen.

D.h. sobald man weniger testen als es Infektionen gibt, wird die "gemessene" Inzidenz immer niedriger sein als der tatsächliche Indikator.
wattwurm Auf diesen Beitrag antworten »
RE: Inzidenzwert-(Schwankungen) verstehen
Danke für die Erklärung.

Dann verstehe ich den Sinn dieses Werts noch weniger. Unglaublich, dass auf Basis dieser Berechnung so tiefgreifende Entscheidungen getroffen werden.

Die "Positivenquote" ist doch viel seriöser aus aussagekräftiger.

Oder irre ich mich mathematisch gesehen?
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Die Positivenquote kennt man nicht. Der Inzidenzwert ist die bestmögliche Annäherung an diese Quote. Etwas brauchbares ist immer besser als gar nichts.
Finn_ Auf diesen Beitrag antworten »

Man hat versucht, die wahre Prävalenz durch Messung der Seroprävalenz abzuschätzen. Da haben weltweit viele Studien stattgefunden. Eine Metastudie dazu ist beispielsweise

John P A Ioannidis: Infection fatality rate of COVID-19 inferred from seroprevalence data. In: Bulletin of the World Health Organization, Band 99, Nr. 1, 2021, S. 19 bis 33F.

Nun werden ja in Industrieländern auch die an Covid Verstorbenen ermittelt. Zusammen mit der Prävalenz erhält man dann die Infektionssterblichkeit nach Alter und daraus die über das Alter gemittelte Infektionssterblichkeit. Da kommt dann so ein Wert von ca. 0,5% bis 1,5% bei raus. Diese mittlere Infektionssterblichkeit ist umso höher, je älter die Bevölkerung durchschnittlich ist. Ob sich dieser Wert derweil durch die Impfungen verändert hat, weiß ich nicht so genau.

Nehmen wir mal an, die Infektionssterblichkeit ist für alle Mutationen ungefähr gleich, zumindest Pi mal Daumen. Dann kannst du in Industrieländern die gemeldeten Sterbefälle nehmen, dividierst die durch die Infektionssterblichkeit, und bekommst damit eine Abschätzung der wahren Neuinzidenz vor einigen Wochen, so Pi mal Daumen drei, vier Wochen. Das Ergebnis ist natürlich immer wesentlich höher als die gemeldete Neuinzidenz. Im Oktober 2020 wurde von der WHO geschätzt, dass die wahre Prävalenz bei 780 Mio. liegt. Mit der Zeit dürften dann womöglich schon mehr als eine Mrd. Menschen infiziert worden sein, vielmehr als die offiziell vermeldeten 177 Mio. Das Ausmaß der meisten Naturkatastrophen ist lokal. Covid würde jedoch nach dieser Schätzung bereits große Teile der Weltbevölkerung durchseucht haben.
wattwurm Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von Elvis
Die Positivenquote kennt man nicht.


Worauf stütz Du diese Aussage? Die Positivenquote ist Gegenstand des wöchentlichen Lageberichts des RKI (jeden Mittwoch).
 
 
wattwurm Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von Finn_
Man hat versucht, die wahre Prävalenz durch Messung der Seroprävalenz abzuschätzen. Da haben weltweit viele Studien stattgefunden. Eine Metastudie dazu ist beispielsweise


Klingt gewichtig. Dass der Inzidenzwert, der allein schon abhängig von der Anzahl Tests schwankt, eine sinnvolle Größe ist, sehe ich da nicht.

Konkreter: Prof. Kekulé erwähnt im Podcast, dass zum Jahresende wohl fast gar nicht mehr getestet wird. Super.. Testanzahl asymptotisch gegen Null => Fast keine Infizierten mehr?
Das ist doch ein völlig verzerrtes Bild der Lage.
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Was wünschst du dir ? Soll jeder Mensch täglich getestet werden ? Das ist weder möglich (Zeitproblem, Laborkapazität, Kosten) noch zulässig (niemand hat das Recht, mich gegen meinen Willen zu testen). Alles was an Zahlen bekannt ist, muss also auf freiwillig durchgeführten Tests und erfassten Testergebnissen beruhen. Man kennt in der deskriptiven Statistik keine Tatsachen, man kennt nur empirische Daten und daraus abgeleitete Kennzahlen und Schätzungen.
wattwurm Auf diesen Beitrag antworten »

Zitat:
Original von Elvis
Was wünschst du dir ? Soll jeder Mensch täglich getestet werden ?


Was ich mir wünsche ist irrelevant. Es ist doch wichtig, einen aussagefähigen, über die Zeit vergleichbaren Wert zu haben, mit dem weitreichende politische Entscheidungen gefällt werden.

Aus meiner Sicht wäre das die Positivenquote: Anteil der Infizierten an der Menge der Gestesten.

Darüber hat man doch viel vergleichbarere Werte und kann viel besser einen Trend ablesen.

Die Positivenquote ist ja schon Teil des RKI-Berichts - jeden Mittwoch.
Elvis Auf diesen Beitrag antworten »

Die Positivenquote hängt genau so an der Anzahl der Tests wie die 7-Tages-Inzidenz. Kein Test, dann Positivenquote=Inzidenz=0. Jeden Tag alle Menschen testen (unmöglich), alle Testergebnisse korrekt (unmöglich), dann Positivenquote und Inzidenz korrekt (unmöglich). Gerade weil in der wirklichen Welt keine wahren Aussagen über die Wirklichkeit möglich sind, haben wir die Statistik erfunden. Das genügt uns, weil mehr nicht geht.
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